Mystic River
solltest, hab ich die Handschellen schneller draußen als du.«
Whitey trat vom Mast weg und machte einen Schritt auf Sean zu. »Ruiniere nur nicht deinen guten Ruf, Devine! Wenn du das tust, ruinierst du auch meinen und dann mach ich dich alle. Ich red hier über eine Scheißversetzung nach Berkshire, da kannst du dann Radarfallen für Motorschlitten überwachen.«
Sean fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und durchs Haar, als ließe sich seine Müdigkeit einfach wegwischen. »Der Bericht der Ballistik müsste inzwischen vorliegen«, sagte er.
Whitey trat einen Schritt zurück. »Ja, da fahr ich jetzt hin. Die Laborergebnisse von den Fingerabdrücken müssten auch schon im Computer sein. Ich lass sie durchlaufen, hoffentlich haben wir Glück. Hast du dein Handy dabei?«
Sean klopfte auf seine Tasche. »Ja.«
»Melde mich später.« Whitey wandte sich von Sean ab und ging die Crescent hinunter zum Streifenwagen und Sean spürte, wie ihn die Enttäuschung seines Chefs plötzlich belastete. Die Probezeit erschien jetzt viel wirklicher als noch am Morgen.
Er ging die Buckingham Avenue zurück zu Jimmys Haus, als Dave mit Michael die Haustreppe herunterkam.
»Geht’s nach Hause?«
Dave blieb stehen. »Ja. Ich kann nicht glauben, dass Celeste nicht mit dem Auto zurückkommt.«
»Ist bestimmt alles in Ordnung«, sagte Sean.
»O ja«, entgegnete Dave. »Nur dass ich jetzt laufen darf.«
Sean lachte. »Wie weit ist es denn? Fünf Häuserblocks?«
Dave grinste. »Fast sechs, Mann, wenn man’s genau nimmt.«
»Dann mal los«, meinte Sean, »solang es noch ein bisschen hell ist. Immer locker, Mike.«
»Tschüss!«, rief Michael.
»Mach’s gut«, sagte Dave und sie ließen Sean an der Treppe stehen. Nach den Bieren, die Dave bei Jimmy weggehauen hatte, war sein Gang etwas wackelig. Sean dachte, wenn du es warst, Dave, hörst du besser sofort mit der Scheiße auf. Du wirst nämlich jede kleine graue Zelle gebrauchen, wenn Whitey und ich dich in die Mangel nehmen. Jede kleine Kackzelle.
An diesem Abend schimmerte der Pen-Kanal silbern. Die Sonne war schon untergegangen, aber es gab trotzdem noch ein wenig Licht am Himmel. Von den Baumwipfeln im Park konnte man nur die Umrisse sehen und die Autokinoleinwand wirkte von hier wie eine dunkle Fläche. Celeste saß auf der Shawmut-Seite in ihrem Wagen und blickte auf den Kanal und den Park hinunter. Dahinter erhob sich East Bucky wie eine Art Mülldeponie. Abgesehen von vereinzelten Türmchen und einigen höheren Dächern wurden die Flats fast vollständig vom Park verdeckt. Die Häuser des Point, die auf gepflasterten Hügeln standen, überragten die Flats.
Celeste konnte sich nicht daran erinnern, hierher gefahren zu sein. Sie hatte das Kleid bei Bruce Reeds Sohn abgegeben, der ganz in Schwarz gekleidet gewesen war, aber dessen Wangen so glatt rasiert und die Augen so jung waren, dass er eher aussah, als ginge er zum Abschlussball. Sie hatte das Bestattungsinstitut verlassen, aber ehe sie sich versah, bog sie auf das Gelände der längst geschlossenen Eisenhütte Isaak ein, vorbei an leeren, hangarähnlichen Gebäuden, fuhr bis zum Ende des Grundstücks, streifte mit der Stoßstange verrottete Paletten und betrachtete den träge fließenden Kanal, der auf die Hafenschleusen zuplätscherte.
Seitdem sie die zwei Polizisten über Daves Auto hatte sprechen hören – ihr gemeinsames Auto, in dem sie jetzt gerade saß –, fühlte sie sich betrunken. Aber nicht angenehm beduselt, locker und leicht mit einem sanften Summen, nein, sie hatte das Gefühl, als hätte sie die ganze Nacht billigen Fusel gesoffen, wäre nach Hause gekommen, sofort eingeschlafen und dann mit noch immer benommenem Kopf und geschwollener Zunge aufgewacht, inzwischen aber nach Alkohol stinkend, träge, begriffsstutzig und unfähig, sich zu konzentrieren.
»Sie haben Angst«, hatte der Bulle gesagt und sie damit so tief ins Herz getroffen, dass sie nur streitlustig leugnen konnte. »Nein, hab ich nicht.« Als wäre sie ein Kind. Nein, hab ich nicht. Hast du doch. Hab ich nicht. Hast du doch. Ich weiß, dass es stimmt, aber ich sag es nicht! Ätsch-bätsch.
Sie hatte Angst. Sie hatte eine Heidenangst. Die Angst schien sie in Pudding zu verwandeln.
Sie wollte mit ihm reden, sagte sie sich. Er war schließlich immer noch Dave. Ein guter Vater. Ein Mann, der in all den Jahren, seit sie ihn kannte, nie die Hand gegen sie erhoben oder eine Neigung zur Gewalt gezeigt hatte. Er hatte noch
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