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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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gearbeitet, hätte man ihn mit Frau und Kindern zum Urlaub auf den Pluto geflogen. Glauben Sie, dass ein so abgewichster Kerl sich nicht denken konnte, wer ihn verpfiffen hat? Zwei Monate, nachdem Marcus auf freien Fuß gesetzt worden war, verschwand Ray Harris urplötzlich von der Bildfläche. Was schließen Sie daraus?«
    Sean antwortete: »Daraus schließe ich, dass Sie vermuten, Jimmy Marcus hätte Ray Harris umgebracht.«
    »Oder dass er diese kleine Ratte, Val Savage, damit beauftragt hat. Hören Sie, rufen Sie Ed Folan vom D-7 an. Er ist da jetzt Captain, aber früher war er in der Abteilung für Bandenkriminalität. Er kann Ihnen alles über Marcus und Ray Harris erzählen. Jeder Bulle, der in den Achtzigern in East Bucky Dienst tat, wird Ihnen dasselbe sagen: ›Wenn Jimmy Marcus Ray Harris nicht umgebracht hat, bin ich der nächste Papst der Juden.‹« Er schob den Kalender mit einem Finger von sich weg, stand auf und zog die Hose hoch. »Ich muss jetzt was essen gehen. Immer locker bleiben, Jungs.«
    Er ging durch den großen Raum, ließ seinen Blick umherschweifen und registrierte alles – den Tisch, an dem er früher gesessen hatte, und die Wandtafel, an der seine Fälle neben den anderen gehangen hatten. Vielleicht dachte er dabei an den Menschen, der er in diesem Raum gewesen war, bevor sich dieser Jemand unerlaubt vom Acker gemacht hatte, in der Asservatenkammer gelandet war und nun darum betete, dass der Tag kommen möge, an dem er zum letzten Mal die Stechuhr drücken müsste und sich dann dahin verpissen könnte, wo niemand wusste, was aus ihm hätte werden können.
    »Papst Marshall der Verlorene«, kommentierte Whitey und drehte sich zu Sean um.
     
    Je länger er in dem kalten Raum auf dem klapprigen Stuhl saß, desto klarer wurde Dave, dass das, was er am Morgen für einen Kater gehalten hatte, lediglich der noch immer andauernde Rausch der vergangenen Nacht gewesen war. Der richtige Kater machte sich erst gegen Mittag breit, krabbelte durch ihn wie eine Armee von Termiten, eroberte sein Blut und dann seinen Kreislauf, drückte auf sein Herz und hämmerte in seinem Kopf. Sein Mund wurde trocken, sein Haar schweißnass. Als seine Poren den Alkohol ausdünsteten, nahm er seinen eigenen Körpergeruch wahr. Arme und Beine waren schwer wie Blei. Sein Brustkorb tat weh. Ein Depressionsanfall überwältigte ihn und hielt ihn gefangen.
    Jetzt kam er sich nicht mehr mutig vor. Er fühlte sich nicht stark. Die Klarheit, die er noch vor zwei Stunden für so unvergänglich wie eine Narbe gehalten hatte, war aus seinem Körper gewichen und aus dem Raum hinaus die Straße hinunter verschwunden. Furcht hatte ihren Platz eingenommen, die schlimmer war als alles, was er bis jetzt erlebt hatte. Er war überzeugt, dass er bald sterben würde, und zwar auf grausame Art und Weise. Vielleicht würde ihn direkt hier auf diesem Stuhl der Schlag treffen und er würde mit dem Hinterkopf auf den Boden knallen, während sich sein Körper in Krämpfen schüttelte, Blut aus seinen Augen trat und er seine Zunge so gründlich verschluckte, dass sie keiner wieder herausbekam. Vielleicht ein Herzinfarkt; sein Herz schlug ja jetzt schon gegen seinen Brustkorb wie eine Ratte gegen einen Stahlkäfig. Vielleicht würde er, wenn sie ihn hier jemals herausließen, auf die Straße treten, neben sich eine Hupe hören und in null Komma nichts auf dem Rücken liegen und nur noch merken, wie das dicke Profil von Busreifen über seinen Kiefer rollte.
    Wo war Celeste? Wusste sie überhaupt, dass er abgeholt und hierher gebracht worden war? Machte es ihr überhaupt etwas aus? Und was war mit Michael? Vermisste er seinen Vater? Das Schlimmste am Totsein war, dass Celeste und Michael scheinbar ungerührt weiterleben würden. Sicher, eine kurze Zeit lang würde es ihnen wehtun, aber sie würden durchhalten und ein neues Leben beginnen, weil man das halt so machte. Nur im Kino verzehrten sich die Menschen nach den Toten, setzte ihr Leben aus wie eine stehen gebliebene Uhr. Im wirklichen Leben war der Tod eine nüchterne Angelegenheit, ein zu vernachlässigendes Ereignis für alle anderen außer den Verstorbenen.
    Manchmal fragte sich Dave, ob die Toten auf die Hinabschauten, die sie zurückgelassen hatten, und weinten, wenn sie sahen, wie problemlos die Hinterbliebenen ohne sie zurechtkamen. Wie der Sohn von Riesen-Stanley, Eugene. Schwebte er mit seinem kleinen kahlen Köpfchen und dem weißen Krankenhauskittel irgendwo da oben durch den

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