Mystic River
Äther, schaute er vielleicht auf seinen in einer Kneipe lachenden Dad hinunter und dachte: Hey, Dad, und was ist mit mir? Hast du mich vergessen? Ich habe mal gelebt!
Irgendwann bekäme Michael einen neuen Dad, würde aufs College gehen und dort einem Mädel von dem Vater erzählen, der ihm das Baseballspielen beigebracht hatte, der Vater, an den er sich kaum erinnern konnte. Das ist schon so lange her, würde er sagen. So lange her.
Celeste war sicherlich attraktiv genug, um einen neuen Mann zu finden. Das musste sie. »Die Einsamkeit«, würde sie zu ihren Freundinnen sagen, »die macht mir zu schaffen. Er ist ein wirklich lieber Kerl. Mit Michael kommt er gut zurecht.« Und im Nu würden ihre Freundinnen Daves Andenken verraten. »Wir freuen uns für dich«, würden sie sagen, »das ist richtig so. Man darf sich nicht unterkriegen lassen, sondern muss immer weitermachen.«
Und Dave wäre da oben mit Eugene, würde zusammen mit ihm hinunterschauen und seine Lieben mit einer Stimme rufen, die kein Lebender vernehmen könnte.
O Gott. Dave wollte sich in eine Ecke verkriechen und die Arme um sich schlingen. Er war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Er wusste, er würde auspacken, wenn die Bullen jetzt zurückkämen. Er würde ihnen alles sagen, was sie wissen wollten, wenn sie ihm nur ein bisschen menschliche Wärme entgegenbrachten und ihm noch eine Sprite holten.
Vor Daves verängstigten Augen, die nach menschlicher Wärme suchten, öffnete sich plötzlich die Tür des Vernehmungszimmers. Ein voll uniformierter Trooper trat ein. Er war jung, wirkte kräftig und besaß diesen Blick, der gleichzeitig unpersönlich und gebieterisch sein konnte.
»Mr. Boyle, wenn Sie bitte mit mir kommen würden?«
Dave stand auf und ging zur Tür. Seine Hände zitterten leicht wegen des Rauschs, der noch immer nicht ganz vorbei war.
»Wohin?«, fragte er.
»Zu einer Gegenüberstellung, Mr. Boyle. Da möchte Sie jemand genauer ansehen.«
Tommy Moldanado trug Jeans und ein mit Farbe bekleckstes grünes T-Shirt. Er hatte Farbspritzer im lockigen braunen Haar, große Flecken auf seinen hellbraunen Arbeitsschuhen und kleine Spritzer auf dem Brillengestell, in dem dicke Gläser saßen.
Es war die Brille, die Sean Sorgen machte. Jeder Zeuge mit Brille, der vor Gericht aussagte, konnte sich genauso gut eine Zielscheibe für den Anwalt der Verteidigung an die Brust heften. Und die Geschworenen, vergiss es. Dank Matlock und L. A. Law waren sie durch die Bank Experten für Brille und Gesetze, verfolgten die Zeugenaussage des Sehgeschädigten mit demselben Blick, mit dem sie Drogendealer, Schwarze ohne Krawatte und Knastratten, die sich auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingelassen hatten, bedachten.
Moldanado drückte die Nase gegen die Scheibe und betrachtete die fünf aufgestellten Männer. »Ich kann es nicht genau sagen, wenn sie in meine Richtung gucken. Können die sich nach links drehen?«
Whitey legte einen Schalter auf dem Pult vor sich um und sprach in ein Mikro: »Bitte alle nach links drehen!«
Die fünf Männer wandten sich nach links.
Moldanado legte die Hände an die Scheibe und blinzelte. »Nummer zwei. Nummer zwei könnte es sein. Könnte er einen Schritt näher kommen?«
»Nummer zwei?«, fragte Sean.
Moldanado sah sich über die Schulter zu Sean um und nickte.
Der zweite Mann in der Reihe war ein Kollege vom Betäubungsmitteldezernat namens Scott Paisner, der normalerweise in Norfolk County Dienst tat.
»Nummer zwei«, seufzte Whitey. »Bitte zwei Schritte vor!«
Scott Paisner war klein und rund, hatte einen Bart und Geheimratsecken. Er sah Dave Boyle überhaupt nicht ähnlich. Paisner schaute in Richtung Scheibe und trat auf sie zu. Moldanado sagte: »Ja, ja. Das ist der Typ, den ich gesehen habe.«
»Sind Sie sicher?«
»Zu fünfundneunzig Prozent«, erwiderte er. »Es war dunkel, wissen Sie? Auf dem Parkplatz gab’s kein Licht und Mensch, war ich stramm. Aber ansonsten bin ich mir so gut wie sicher, dass das der Typ ist.«
»In Ihrer Aussage war von einem Bart keine Rede«, merkte Sean an.
»Nein, aber jetzt glaub ich, ja, dass er vielleicht einen Bart hatte.«
Whitey fragte: »Und sonst hat keiner in der Reihe Ähnlichkeit mit dem Kerl?«
»Nee, bestimmt nicht«, entgegnete Moldanado. »Nicht mal annähernd. Was sind das – Bullen?«
Whitey legte den Kopf auf das Pult und flüsterte: »Warum mach ich diesen Scheißjob überhaupt?«
Moldanado sah Sean an. »Was? Was?«
Sean
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