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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Konkursmasse für wenig Geld unter den Nagel gerissen und an das Grünflächenamt weitergegeben hatte. Das Grünflächenamt brauchte geschlagene zehn Jahre, um den Park zu verschönern. Es riss die Pfähle, an denen die Lautsprecher gehangen hatten, aus dem Boden, ebnete und bepflanzte den Boden, legte Fahrrad- und Joggingwege entlang des Kanals an, errichtete einen umzäunten Gemeinschaftsgarten, baute sogar ein Bootshaus und eine Slipanlage für Kanufahrer, die aber nicht besonders weit kamen, weil sie an beiden Seiten des Kanals von Hafenschleusen aufgehalten wurden. Die Leinwand aber blieb stehen, erhob sich schließlich am Ende einer Sackgasse, die durch die Pflanzung von aus Nordkalifornien eingeführten Bäumen entstanden war. Im Sommer spielte eine ortsansässige Theatergruppe vor der Leinwand Shakespeare, bemalte sie mit mittelalterlichen Motiven, hüpfte mit Alu-Schwertern über die Bühne, rief ständig »horch« und »fürwahr« und ähnlichen Quatsch. Vor zwei Jahren war Jimmy mit Annabeth und den Kindern hingegangen und Annabeth, Nadine und Sara waren schon vor Ende des ersten Aktes eingenickt. Aber Katie war wach geblieben, hatte sich auf der Picknickdecke vorgebeugt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in die Hand gelegt, und so war Jimmy auch wach geblieben.
    An dem Abend gaben sie Der Widerspenstigen Z ä hmung, aber Jimmy bekam das meiste nicht mit – irgendein Typ versuchte mit seiner Verlobten klarzukommen, damit sie eine ordentliche, gehorsame Frau abgab –, er begriff nicht, was daran Kunst sein sollte, nahm aber an, dass ihm einiges entging, weil er diese gedrechselte Sprache nicht verstand. Katie jedoch war ganz Ohr gewesen. Sie lachte ziemlich oft, wurde öfter still, war häufig ergriffen und sagte Jimmy hinterher, es sei »magisch« gewesen.
    Jimmy hatte keine Ahnung, was sie damit gemeint hatte, und Katie konnte es ihm nicht erklären. Sie sagte nur, sie hätte sich von dem Stück »woanders hinversetzt« gefühlt, und die nächsten sechs Monate sprach sie ständig davon, nach der Schule nach Italien zu gehen.
    Als Jimmy auf der Kirchentreppe stand und über die Grenzen von East Bucky blickte, dachte er: Italien, na klar!
    »Daddy, Daddy!« Nadine trennte sich von einer Gruppe Freundinnen und lief auf Jimmy zu, der gerade den Treppenabsatz erreicht hatte. Mit voller Wucht prallte sie gegen seine Beine und rief immer wieder: »Daddy, Daddy!«
    Jimmy hob sie hoch, der scharfe Stärkegeruch des Kleides stieg ihm in die Nase und er küsste sie auf die Wange. »Mein Schatz!«
    So wie ihre Mutter sich das Haar aus den Augen strich, schob sich Nadine mit zwei Fingern den Schleier aus dem Gesicht. »Das Kleid kratzt.«
    »Das kratzt sogar mich«, sagte Jimmy. »Obwohl ich es noch nicht mal anhabe.«
    »Du würdest aber komisch in einem Kleid aussehen, Daddy!«
    »Nicht, wenn es mir so gut passen würde wie dir.«
    Nadine verdrehte die Augen und strich mit dem Schleier an seinem Kinn entlang. »Kitzelt das?«
    Jimmy schaute über Nadines Kopf zu Annabeth und Sara und spürte, wie der Anblick der drei sein Herz erfüllte und ihn gleichzeitig zu Staub zerfallen ließ.
    Er könnte jetzt von hinten von einer ganzen Kugelladung getroffen werden, in diesem Augenblick wäre es in Ordnung. Es wäre gut so. Er war glücklich. So glücklich wie möglich.
    Nun ja, fast. Er suchte die Menge nach Katie ab, hoffte, dass sie vielleicht im letzten Moment auftauchen würde. Stattdessen sah er einen Streifenwagen um die Ecke der Buckingham Avenue biegen, auf die linke Spur der Roseclair Street schleudern, ein Hinterrad über den Mittelstreifen rutschen. Das weinerliche Jaulen und scharfe Krächzen der Sirene durchschnitt die Morgenluft. Jimmy nahm wahr, wie der Fahrer Gas gab, hörte den schweren Motor aufheulen und der Streifenwagen schoss die Roseclair hinunter in Richtung Kanal. Wenige Sekunden später folgte ein schwarzes Zivilfahrzeug, zwar ohne Sirene, aber unverkennbar von der Polizei, der Fahrer nahm die scharfe Neunzig-Grad-Kurve auf die Roseclair mit über sechzig Stundenkilometern und dröhnendem Motor.
    Und als Jimmy Nadine absetzte, spürte er es im Blut, eine jähe, böse Gewissheit, ein Gefühl, als würde auf einmal alles zusammenpassen. Er sah zu, wie die beiden Bullenwagen durch die Unterführung rasten und nach rechts in die Zufahrtsstraße zum Pen-Park abbogen, und er spürte Katie – zusammen mit dem dröhnenden Motor und den quietschenden Reifen – in seinem Blut, in seinen

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