Mystic River
der Nachbarschaff: »Tja, da sieht man’s mal wieder. Das passiert, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Aber Katie, die wird mal ein richtiger Feger. Wie alle Mischlinge.«
Nach seiner Entlassung aus Deer Island wurde Jimmy mit Angeboten überhäuft. Er war ein Profi, einer der besten Einbrecher, die es jemals in diesem Stadtteil gegeben hatte. Und das Viertel konnte wahrlich eine stattliche Liste von berühmten Einbrechern vorweisen. Aber auch als Jimmy nein sagte, danke, keine krummen Touren mehr, wegen der Kleinen, ja, da nickten die Leute, grinsten und dachten, dass er sofort wieder anfangen würde, sobald es ihm ein bisschen schlechter ging und er sich zwischen einer Leasingrate und Katies Weihnachtsgeschenk entscheiden musste.
War aber nicht so. Jimmy Marcus, ein genialer Fassadenkletterer, der schon seine eigene Gang gehabt hatte, als er vom Gesetz her noch nicht mal öffentlich trinken durfte, der Mann, der hinter dem Coup bei Keldar Technics und einem Haufen anderer Brüche steckte, blieb so sauber, dass sich die Leute schließlich fragten, ob er sie verarschen wolle. Mensch, es wurde sogar erzählt, Jimmy hätte mit AI De Marco über den Eckladen gesprochen, wollte ihn dem Italiener abkaufen, damit sich der Alte mit einer großen Summe von dem Geld zur Ruhe setzen konnte, das Jimmy angeblich bei dem Keldar-Bruch abgezogen hatte. Jimmy als Verkäufer mit Schürze – ja, klar, sagten alle.
Bei Val und Tereses Hochzeitsempfang im »K of C« in der Dunboy Street forderte Jimmy Annabeth zum Tanzen auf. Alle sahen sofort, was sich da anbahnte: wie geschmeidig sich die beiden zur Musik bewegten, wie sie die Köpfe schräg legten, wenn sie sich ansahen, wie er mit der Hand leicht über ihren Po strich und sie ihn ihm entgegenstreckte. Jimmy und Annabeth kannten sich seit ihrer Kindheit. Er war ein paar Jahre älter als sie. Vielleicht hatte es schon immer zwischen ihnen geknistert und das Knistern hatte nur darauf gewartet, dass die Puertoricanerin den Löffel abgab oder dass Gott ihn ihr wegnahm.
Es war ein Lied von Rickie Lee Jones gewesen, zu dem sie getanzt hatten, und einige Zeilen darin trafen Jimmy immer mitten ins Herz – aus einem Grund, den er nicht kannte: »Well, goodbye, boys / Oh my buddy boys / Oh my sad-eyed Sinatras …« Leise sang er beim Tanzen mit, fühlte sich zum ersten Mal seit Jahren locker und wohl, sang zu Rickies düsterer, dürftiger Stimme lautlos den Refrain: »So long, lonely avenue«, lächelte in Annabeths kristallgrüne Augen, und sie lächelte auf ihre zarte, verstohlene Art zurück, die ihn schwach machte. Die beiden benahmen sich, als würden sie zum hundertsten und nicht zum ersten Mal miteinander tanzen.
Sie waren die Letzten, die gingen – saßen draußen auf der Veranda, tranken Light-Bier, rauchten und nickten den anderen Gästen zu, die zu ihren Autos gingen. Jimmy und Annabeth blieben lange in der lauen Sommernacht sitzen. Als es kühler wurde, legte Jimmy Annabeth seine Jacke um die Schultern und erzählte vom Gefängnis, von Katie und von Maritas Traum mit den orangen Gardinen. Und sie erzählte ihm, wie es war, als einzige weibliche Savage in einem Haus voll verrückter Brüder aufzuwachsen, erzählte von ihrem Winter in New York, wo sie getanzt hatte, bis sie merkte, dass sie nicht gut genug war, erzählte von ihrer Ausbildung zur Krankenschwester.
Als der Geschäftsführer des »K of C« sie von der Veranda warf, spazierten sie gerade noch rechtzeitig zu Val und Tereses Absackerparty hinüber, um den ersten Ehestreit des jungen Paares mitzuerleben. Sie nahmen ein Sixpack aus Vals Kühlschrank und verdrückten sich, liefen in die Dunkelheit zu Hurleys Autokino und setzten sich an den Kanal, lauschten seinem trägen Plätschern. Das Autokino hatte schon vor vier Jahren zugemacht. Klotzige gelbe Bagger und Lastwagen vom Grünflächenamt und Verkehrsministerium rollten jeden Morgen auf das Gelände, verwandelten die ganze Gegend entlang des Pen-Kanals in einen Riesenberg aus Dreck und kaputten Betonplatten. Angeblich sollte hier ein Park entstehen, aber im Moment war es nur ein heruntergekommenes Autokino. Die weiße Leinwand leuchtete noch immer hinter Bergen brauner Erde und schwarzgrauen Asphaltbrocken hervor.
»Angeblich liegt es im Blut«, sagte Annabeth.
»Was?«
»Stehlen. Verbrechen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Du weißt schon.«
Jimmy grinste sie über die Bierflasche hinweg an, trank einen Schluck.
»Stimmt das?«, fragte
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