Mystic River
Messer die bevorzugte war, dann … Mensch, komm, wer schlug mit einer anderen als seiner Schreibhand zu?
Ja, sie glaubte, dass Dave in eine furchtbare Situation geraten war, in der er gezwungen gewesen war, aufs Ganze zu gehen. Ja, sie war überzeugt, dass er nicht der Typ war, der es auf so etwas anlegte. Aber … aber trotzdem: Seine Geschichte hatte Fehler, Lücken. Es war so, als versuche man Lippenstift am Hemdkragen zu erklären: So treu man auch gewesen sein mochte, die Erklärung sollte möglichst plausibel klingen, auch wenn sie sich noch so lächerlich anhörte.
Celeste malte sich aus, wie zwei Beamte von der Kripo bei ihnen in der Küche saßen und Fragen stellten, und sie war sicher, dass Dave einknicken würde. Seine Schilderung würde unter kühlen Blicken und wiederholtem Nachhaken in sich zusammenfallen. Natürlich kannte sie die Geschichten; die Flats waren nichts anderes als ein Dorf in einer Großstadt und die Leute redeten viel. Deshalb hatte sie Dave einmal gefragt, ob in seiner Kindheit etwas Schreckliches passiert sei, über das er mit niemandem sprechen konnte, hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er mit ihr, seiner Frau, damals mit seinem Kind schwanger, darüber reden könne.
Er hatte sie verwirrt angesehen. »Ach, meinst du diese Sache?«
»Was für eine Sache?«
»Ich hab mal mit Jimmy und diesem anderen, Sean Devine, auf der Straße gespielt. Doch, den kennst du. Du hast ihm ein- oder zweimal die Haare geschnitten, stimmt’s?«
Celeste erinnerte sich. Sean Devine arbeitete irgendwo bei der Polizei, aber nicht beim Boston Police Department. Er war groß, hatte lockiges Haar und eine wohltönende Stimme, die einem Schauer über den Rücken jagte. Er legte die gleiche mühelose Selbstsicherheit an den Tag wie Jimmy – diese Haltung von Männern, die entweder sehr gut aussahen oder selten von Zweifeln geplagt wurden.
Sie konnte sich Dave nicht mit diesen beiden Männern vorstellen, nicht mal als Kind.
»Aha«, hatte sie gesagt.
»Da hielt ein Auto, ich bin eingestiegen und kurz darauf bin ich geflohen.«
»Geflohen?«
Er nickte. »War nichts Besonderes, Schatz.«
»Aber, Dave …«
Er legte ihr einen Finger auf den Mund. »Das war alles, ja?«
Er lächelte, aber Celeste sah so etwas wie – was war das? – leichte Hysterie in seinen Augen.
»Ich meine, tja, ich kann mich an Ballspiele und Straßenfußball erinnern«, sagte Dave, »dass ich zur Looey & Dooey gegangen bin und versucht hab, im Unterricht nicht einzuschlafen. Ich kann mich an ein paar Geburtstagsfeiern und so erinnern. Aber, Mensch, das war alles ziemlich langweilig. Später auf der Highschool …«
Sie ließ es gut sein, wie sie es auch tat, als er sie anlog, warum er seinen Job beim American Messenger Service verloren hatte. (Dave sagte, man hätte ihn aus Kostengründen entlassen, aber andere aus dem Viertel liefen der Firma in den darauf folgenden Wochen die Bude ein und wurden eingestellt.) Oder als er ihr erzählte, seine Mutter sei an einem plötzlichen Herzinfarkt gestorben, wo doch die ganze Straße wusste, dass Dave im letzten Jahr an der Highschool eines Tages nach Hause gekommen war und sie vor dem Herd gefunden hatte, Küchentür geschlossen, Handtücher vor den Schlitzen, das ganze Zimmer voll Gas. Celeste war zu dem Schluss gekommen, dass Dave diese Lügen brauchte, dass er seine Vergangenheit neu erfinden und umgestalten musste, damit sie zu etwas wurde, mit dem er leben und das er irgendwo in seinem Hinterkopf ablegen konnte. Und wenn ihn das zu einem besseren Menschen machte – zu einem liebevollen, wenn auch manchmal geistesabwesenden Ehemann und aufmerksamen Vater –, wer wollte etwas dagegen sagen?
Aber diese neue Lüge, das wusste Celeste, als sie eine Jeans und eins von Daves Hemden anzog, die konnte ihm das Genick brechen. Ihnen beiden, da sie nun bei der Behinderung der Justiz mitmachte, indem sie seine Sachen gewaschen hatte. Wenn Dave ihr gegenüber nicht ehrlich war, konnte sie ihm nicht helfen. Und wenn die Polizei käme (und sie würde kommen – das hier war kein Fernsehen; der dümmste, versoffenste Kripotyp war schlauer als Dave und sie zusammen, wenn es um Verbrechen ging), würde sie Daves Geschichte zerschlagen wie ein Ei am Pfannenrand.
Dave machte seine rechte Hand zu schaffen. Die Knöchel waren auf das Doppelte ihrer normalen Größe angeschwollen und die Knochen des Handgelenks fühlten sich an, als wollten sie sich durch die Haut bohren. Er hätte sich damit
Weitere Kostenlose Bücher