Mystic River
Michael gerichtet hatte. Sie beobachtete ihn, wartete und wollte ihn etwas fragen. Er erinnerte sich an ihre heisere Stimme in der vergangenen Nacht an seinem Ohr, als sie vom Küchenboden aufgestanden war, den Arm um seinen Hals gelegt, sein Ohr an ihren Mund gezogen und gesagt hatte: »Jetzt bin ich du. Du bist ich.«
Dave hatte keinen Schimmer gehabt, wovon sie da redete, aber ihm gefiel der Klang ihrer Stimme, und ihre Heiserkeit hatte ihn schneller zum Höhepunkt kommen lassen.
Jetzt hatte er allerdings das Gefühl, dass es nichts anderes als ein weiterer Versuch von Celeste gewesen war, sich in seinen Kopf zu schleichen, um darin herumzuschnüffeln, und das kotzte ihn an. Denn wenn erst mal einer da oben drin war, gefiel ihm meistens nicht, was er sah, und weg war er.
»Was ist denn, Schatz?«
»Ach, nichts.« Sie schlang die Arme um sich, obwohl es schon warm war. »Hey, Mike, hast du schon gegessen?«
»Noch nicht.«
Celeste schaute Dave stirnrunzelnd an, als wäre es das Verbrechen des Jahres, wenn Michael erst mal ein paar Bälle schlug, bevor er einen Zuckerflash von den knallroten Cornflakes bekam, die er immer aß.
»Auf dem Tisch stehen eine volle Schüssel und Milch für dich.«
»Gut! Ich hab Riesenhunger!« Michael ließ den Schläger fallen und Dave fühlte sich betrogen, als der Junge den Schläger fortwarf und zur Treppe rannte. Du hast einen Riesenhunger? Hab ich dir vielleicht den Mund zugeklebt, dass du mir das nicht sagen konntest? Scheiße!
Michael trabte an seiner Mutter vorbei und raste die Treppen zum zweiten Stock hoch, als würden sie unter ihm wegbrechen, wenn er nicht schnell genug oben ankäme.
»Das Frühstück geschwänzt, Dave?«
»Bis Mittag geschlafen, Celeste?«
»Es ist erst Viertel nach zehn«, korrigierte Celeste und Dave merkte, wie all das Wohlwollen, das sie in der vergangenen Nacht bei dieser Küchennummer in ihre Ehe gepumpt hatten, sich in Nichts auflöste.
Er zwang sich zu lächeln. Wenn es echt genug wirkte, würde man ihm alles abnehmen. »Also, was ist, Schatz?«
Celeste stand mit ihren nackten Füßen im Gras. »Was ist mit dem Messer passiert?«
»Womit?«
»Mit dem Messer«, flüsterte sie und sah sich über die Schulter zum Schlafzimmerfenster von McAllister um. »Das von dem Typen. Wo ist das hin, Dave?«
Dave warf den Ball hoch und fing ihn hinter dem Rücken. »Das ist weg.«
»Weg?« Sie spitzte die Lippen und blickte auf den Rasen. »Hey, Scheiße, Dave.«
»Scheiße was, Schatz?«
»Wo ist es hin?«
»Weg.«
»Bist du sicher?«
Dave war sicher. Er lächelte und schaute ihr in die Augen. »Absolut.«
»Dein Blut ist drauf. Deine DNA, Dave. Ist es so versteckt, dass es keiner finden kann?«
Darauf hatte Dave keine Antwort, deshalb starrte er seine Frau einfach an, bis sie das Thema wechselte.
»Hast du heute Morgen in die Zeitung geguckt?«
»Klar«, antwortete er.
»Steht was drin?«
»Worüber?«
» Wor ü ber?«, zischte Celeste.
»Ach, so.« Dave schüttelte den Kopf. »Nein, da stand nichts. Kein Wort darüber. Denk dran, Schatz, es war schon spät.«
»Es war schon spät? Ich bitte dich! Und im Lokalteil? Das sind immer die letzten Seiten, die sie fertig machen, weil sie erst auf die Polizeiberichte warten.«
»Arbeitest du bei der Zeitung oder was?«
»Das ist kein Witz, Dave!«
»Nein, Schatz, das ist kein Witz. Ich sage bloß, dass heute Morgen nichts in der Zeitung stand. Das ist alles. Warum? Keine Ahnung. Heute Mittag gucken wir Nachrichten, mal sehen, ob da was kommt.«
Celeste blickte wieder aufs Gras und nickte mehrmals vor sich hin. »Kommt denn was, Dave?«
Dave trat einen Schritt nach hinten.
»Ich meine etwas über einen Schwarzen, der halb totgeschlagen auf dem Parkplatz von … wo noch mal gefunden wurde?«
»Vom, äh, Last Drop.«
»Vom – äh – Last Drop?«
»Ja, Celeste.«
»Aha, okay, Dave«, sagte sie. »Na klar.«
Und sie ließ ihn stehen. Sie wandte ihm den Rücken zu und ging die Stufen hoch zur Veranda und verschwand im Haus. Dave hörte ihre leichten Schritte, als sie die Treppe hinauflief.
Das machten sie alle. Sie ließen ihn stehen. Vielleicht nicht immer im wörtlichen Sinne. Aber emotional, seelisch? Sie waren nie da, wenn man sie brauchte. Mit seiner Mutter war es genauso gewesen. An dem Morgen, nachdem er von der Polizei nach Hause gebracht worden war, hatte ihm seine Mutter Frühstück gemacht, ihm den Rücken zugewandt, »Old MacDonald had a farm« gesummt, zwischendurch
Weitere Kostenlose Bücher