Mystic River
Auto?«
»Katies.«
»Sie? Die Polizei? Die ?«
»Ja. Sie … wird gesucht. Irgendwo im Pen-Park.«
»Oh, mein Gott! Nein, oder? Nein. Nein, Jimmy!«
Jetzt fühlte es Jimmy in sich strömen – diese Furcht, die furchtbare Gewissheit, die schrecklichen Gedanken, die er in seinem Kopf in einer Schublade in Schach gehalten hatte.
»Wir wissen noch nichts Genaues. Aber ihr Auto hat die ganze Nacht hier gestanden und die Bullen …«
»Du meine Güte, Jimmy!«
»… suchen den Park nach ihr ab. Massen von ihnen. Und …«
»Wo bist du?«
»Auf der Sydney. Hör zu …«
»Auf der bekackten Straße? Warum bist du nicht im Park?«
»Sie lassen mich nicht rein.«
»Wie bitte? Was glauben die, wer sie sind? Ist das ihre Tochter?«
»Nein. Hör zu, ich …«
»Geh da rein ! Verdammt noch mal! Sie kann verletzt sein. Liegt da irgendwo rum, frierend und verletzt.«
»Ich weiß, aber sie …«
»Ich komme.«
»Gut.«
»Geh da rein, Jimmy! Ich meine, hey, was ist los mit dir?«
Sie legte auf.
Jimmy gab Chuck das Handy zurück und wusste, dass Annabeth Recht hatte. Sie hatte so dermaßen Recht, dass es Jimmy fertig machte, wenn er sich vor Augen führte, dass er seine Ohnmacht der letzten Dreiviertelstunde den Rest seines Lebens bedauern würde, dass er nie daran würde denken können, ohne zusammenzuzucken, dass er ihr in seinen Gedanken zu entkommen versuchen würde. Wann war er so geworden – ein Mann, der »Ja, Sir, nein, Sir, Sie haben Recht, Sir« zu beschissenen Bullen sagte, während seine Erstgeborene vermisst wurde? Wann war das passiert? Wann hatte er an einer Theke gestanden und seinen Schwanz gegen das Gefühl eingetauscht, ein aufrechter Bürger zu sein?
Er wandte sich an Chuck. »Hast du immer noch diesen Bolzenschneider im Kofferraum?«
Chuck setzte eine Miene auf, als wäre er bei etwas ertappt worden. »Irgendwie muss man ja sein Geld verdienen, Jim.«
»Wo ist dein Auto?«
»Die Straße runter, Ecke Dawes Street.«
Jimmy lief los und Chuck folgte ihm. »Schneiden wir uns den Weg frei?«
Jimmy nickte und ging noch ein bisschen schneller.
Als Sean den Teil des Joggingpfads erreichte, der um den Zaun des Gemeinschaftsgartens verlief, nickte er den Kollegen zu, die zwischen den Blumen und in der Erde Indizien suchten. Auf den meisten Gesichtern sah er eine angespannte Erwartung, woraus er schloss, dass sie es bereits gehört hatten. Der ganze Park war von einer Atmosphäre erfüllt, die er im Laufe der Jahre an verschiedenen Tatorten gespürt hatte, eine Atmosphäre mit einer Spur Fatalismus, das dumpfe Akzeptieren eines fremden Schicksals.
Schon beim Betreten des Parks war ihnen klar gewesen, dass sie tot war, doch Sean wusste, dass für den winzigen Bruchteil einer Sekunde jeder das Gegenteil gehofft hatte. Das tat man einfach – man betrat den Tatort im Bewusstsein der Wahrheit, und dann hoffte man so lange wie möglich, sich zu irren. Im vergangenen Jahr hatte Sean an einem Fall gearbeitet, in dem ein Ehepaar sein Baby vermisst gemeldet hatte. Die gesamte Medienmeute war aufgetaucht, denn das Ehepaar war weiß und ehrbar, aber Sean und all seine Kollegen wussten, noch während sie die zwei Arschlöcher trösteten, ihnen flötend versicherten, ihrem Baby ginge es bestimmt gut, während sie hirnrissigen Hinweisen auf verdächtige, am Morgen in der Gegend beobachtete Ausländer nachgingen, dass die Geschichte der beiden Schrott war, dass das Kind tot war. Im Morgengrauen fanden sie dann das Baby, in einen Staubsaugerbeutel gepackt und in einen Spalt unter der Kellertreppe gestopft. An dem Tag sah Sean einen jungen Kollegen weinen, der sich zitternd gegen seinen Streifenwagen lehnte. Die übrigen Polizisten machten einen zornigen Eindruck, schienen aber nicht überrascht zu sein. Sie wirkten, als hätten sie alle nachts denselben beschissenen Traum gehabt.
Und das nahm man mit nach Hause, in die Kneipe, in die Umkleidekabinen von Revier und Baracke – die wütende Überzeugung, dass die meisten Menschen Schweine waren, dass sie dumm waren und Kavaliersdelikte begingen, manchmal mit tödlichem Ausgang, dass sie logen, sobald sie den Mund aufmachten, also immer, und dass man sie, wenn sie ohne ersichtlichen Grund vermisst wurden, meistens tot oder in noch schlimmerem Zustand auffand.
Aber am schlimmsten war es häufig nicht für die Opfer – die waren letztlich tot und hatten es hinter sich. Schlimmer war es für die, die sie geliebt hatten und weiterleben mussten. Oft waren sie
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