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Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)

Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)

Titel: Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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Konventionen so erdrückend, dass du dich belügen musst. «
    Sie öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Sie versucht, ein möglichst empörtes Gesicht zu machen, doch über ihre Haut laufen Schauder. Unter dem dicken Stoff spürt sie, wie ihre Brustwarzen sich verhärten, und Gänsehaut breitet sich auf den Armen aus. Sie will wieder geküsst werden, will den Kuss erwidern. Intensiver diesmal. Länger. Für sie ist er kein Unhold, sondern ein starker, kraftvoller Mann. Vielleicht ist es Zeit für die Sünde – im Moment wäre sie zu allem bereit!
    » Deshalb ... « , sagt er und erhebt sich. » Deshalb bitte ich dich, jetzt zu gehen. Ich werde nach Bluehaven reiten und dort speisen. Wir werden uns erst morgen wiedersehen. Ich bitte für mein ungebührliches Betragen um Verzeihung. «
    Es war schön, war wunderschön! Und ich will es wieder!
    Sie steht auf, wischt ihre feuchten Handflächen am Kleid ab und will etwas sagen, doch er dreht ihr den Rücken zu und starrt aus dem Fenster, eine dunkle Silhouette vor dem trüben Tageslicht. » Es wird Zeit, um meine Hunde zu trauern « , sagt er dumpf.
    Sie geht hinaus und schließt die Tür.
     
     
    Im Blue Corner herrscht Hochstimmung.
    Fast alle Tische sind besetzt. Die meisten Männer haben kräftige Glieder und tragen Kniebundhosen und Gamaschen, schlichte Landwirte. Viele haben ein schäumendes Bier vor sich auf dem Tisch, andere Schnaps und Whiskey.
    Man achtet Kenneth Blackmore. Immerhin trägt der etwas wirre König Georg zwei Mäntel, die aus Blackmores Wolle gesponnen wurden. Dass er ihm den Adelstitel versagt, finden nicht wenige skandalös. Außerdem hat Blackmore Bluehaven stets finanziell unterstützt. Der Tod seiner Frau war ein Unglück, und dieses Unglück hat den Mann zu einem Säufer und Spieler werden lassen. Das ist nicht schön, aber verständlich.
    Was nun geschehen ist, schlägt dem Fass den Boden aus.
    Clifford Gald, dieser unheimliche Kerl, der über Hexenmeisterkünste verfügt, hat Blackmore das Gut genommen, obwohl sicherlich eine andere Regelung möglich gewesen wäre. Spielschulden sind Ehrenschulden, also könnte man auch das akzeptieren, doch den armen Richard und die kleine Emily als Hausboten zu missbrauchen, ist inakzeptabel.
    Zwar versucht Vater McClure zu schlichten, doch man hört nicht auf ihn.
    Die Nerven liegen blank, und schaut man sich an, wie Richard von Gald misshandelt wurde, weiß man in Bluehaven, dass es so nicht weitergehen kann.
    Wenn Gald damit durchkommt, wird er demnächst Herr über das Dorf sein und den Rest der Bürger mit seinem höllischen Blick verhexen.
    Frauen und Männer unterbrechen ihr Whist, um Blackmore beizustehen, der nicht aufhört, zu fluchen und zu wettern. Er ist heute lauter und zorniger als gestern, was daran liegen mag, dass ihm der grausige Anblick seines verprügelten Sohnes nicht aus dem Gedächtnis geht.
    » Er hat meine Tochter in seinen Klauen! « , ruft er und donnert den Pint auf den Tresen, eine dicke massive Holzbohle, die über zwei Fässern liegt. » Er kann mit ihr tun und lassen, was er will und ich ... bei Gott, ich bin zu alt, um sie zu mir zu holen. «
    » Wohin willst du sie holen? Hierhin? In die Schenke? Außerdem bist du noch keine fünfzig « , wagt einer einen Einwand. Er wird niedergeschrien.
    » Ja, Gald ist ein Ungeheuer. «
    » Er hat das Saatgut verhext! «
    » Er hat dem alten Fred Willborough das Gut genommen! «
    » Er misshandelt seine Hausangestellten! «
    » Er hat Kinder mit einer Hexe gezeugt! «
    » Er kommt direkt aus der Hölle! «
    Vater McClure winkt ab und versucht erneut, die Leute zur Vernunft zu bringen. » Er hat niemandem etwas zuleide getan, soviel ich weiß, und er hat auch kein Weib. Er lässt sich selten hier sehen, aber man kann niemanden verurteilen, weil er ein Eigenbrötler ist. «
    Man scheut sich, auf Vater McClure einzugehen, also überhört man geflissentlich seine Worte. Es genügt, wenn man ihn sonntags in der Kirche ertragen muss.
    Ihre Köpfe fliegen hoch, als Richard auf dem Treppenabsatz erscheint, hinter ihm Nora, die man vergessen hat. Was soll’s – wenn man über so Grausiges wie Gald disputiert, geraten karge Moralitäten ins Hintertreffen.  McClure verzieht missbilligend die Augenbrauen.
    » Er hat mich aus heiterem Himmel verprügelt « , sagt Richard und quält sich die Stufen herunter.
    Sie schweigen und lauschen andächtig.
    » Wir waren auf der Jagd, und glaubt es oder nicht ... er erwürgte einen ausgewachsenen

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