Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
zu tun. Andererseits triumphierte bei denen am Ende nicht das Glück, sondern der Tod.
» Ich begreife das nicht, Galahad. Wieso ist deine Seele nach einer so langen Lebensspanne nicht verloren? Für die meisten von uns genügen vierzig Jahre, um in Verzweiflung zu fallen, und du ... « Sie schnappt nach Luft. Noch immer fällt es ihr schwer, den Tatsachen ins Auge zu sehen.
» Irgendwann, Liebste, gewöhnt man sich daran. Man kann auf dieser Welt nur bestehen, wenn man das Leben zu seiner Geliebten macht. Es besteht im Wesentlichen aus Glauben und Geduld, was mich schon die Dame vom See in Avalon lehrte. Wer diese Geduld besitzt, kommt zu einem herrlichen Ziel. Und immerhin habe ich einen Vorteil: Ich kann im Schatten des Baumes sitzen, den ich selbst pflanzte. Ein Privileg, fürwahr. « Sein Gesicht verdüstert sich.
» Was hast du? Warum so traurig? «
» Ich sorge mich um dich, denn ich fühle den nahenden Feind. So ist es meistens, wenn ich mich dem Gral nähere, als sende er Strahlen aus, die direkt zu Merlin führen. «
» Du redest über ihn, aber er kann unmöglich noch leben. «
» Du weißt nicht, über wen du sprichst, Liebste. Merlin stammt von einem Inkubus, einem dämonischen Elfen und einer Nonne ab. Er war der höchste Druide Britanniens. Er ist gut und böse gleichermaßen, man könnte Bücher über ihn füllen. Er ist unvorstellbar machtvoll. Er will den Gral nicht, weil er Gutes damit vorhat. Nein, er plant Dunkles. Du fragst, warum er vermutlich noch lebt? Er starb nie. Er begegnete der Fee Viviane im Wald von Brocéliande. Dort fiel er in den ewigen Schlaf. Doch er wäre nicht Merlin gewesen, hätte er diesen Schlaf nicht früher oder später gebrochen. Er erwachte und ist hinter mir her. Und nun spüre ich, dass er sich nähert. «
» Warum wartest du nicht und tötest ihn? «
» Er würde mir widerstehen. Er ist stärker als ich. Außerdem würde mich der Mord unrein machen, und ich müsste die Wacht über den Gral aufgeben. «
» Dann lass uns durch ein Portal gehen. Wohin wir auch kommen, es wird gut sein. Und du bist erneut sicher vor ihm. «
» Was würde dein Vater sagen, dein Bruder? «
» Was würdest du sagen, bliebe ich hier? «
» Ich würde trauern, denn ich weiß, dass du zu mir gehörst. «
» Dann ist es gut so. Wo ist der Gral? Hole ihn und wir verlassen Gut Blackmore. «
Kenneth Blackmore überlegt, wie er aus der Kammer entkommen kann. Sie ist fensterlos, und die Tür ist abgeschlossen. Er muss unbedingt entkommen, will er das Übel verhindern. Wenn er seinen Freunden erklärt, dass Gald ihm das Gut zurückgeben ... nein! schenken will, wird man sich friedvoll verhalten. Kenneth hat in den Augen des seltsamen Mannes etwas gesehen, das ihn zutiefst anrührte. Er kann es nicht deuten, doch es hat seine Seele verändert, hat den Hass verscheucht und ihn mit offenen Augen sehen lassen, was die Zeit aus seinem Sohn und aus ihm selbst gemacht hat.
Er schämt sich und wünscht sich seine Frau zurück. Er möchte sie an sich drücken, möchte ihr sagen, wie sehr er vieles bedauert, doch dazu ist es zu spät.
Noch ist es nicht zu spät, um zu bereuen und noch ist Zeit, um Unrecht wieder gutzumachen. Er will nicht auch noch seine Tochter verlieren, Emily, die bei Gald auf dem Gut ist.
Kenneth hat durch die geschlossene Tür vernommen, was Richard tat, und es macht ihn unglücklich. Ernüchtert, voller Kopfschmerzen und mit trockenen Lippen, versucht er einen Ausweg aus der Misere zu finden. Er muss hier raus.
Über ihm sind die Dachsparren, von denen feuchtes Heu hängt. Darauf liegen alte Ziegel, und durch manche Lücken dringt Regenwasser. Kenneth stellt sich auf einen Stuhl und drückt unter das Dach, und tatsächlich geben Stroh und Ziegel nach. Eigentlich ist es ein Kinderspiel, so naheliegend, dass man nicht sofort darauf kommt. Er stößt ein Loch in das alte Dach und will hindurchklettern. Das ist leichter gedacht als getan, denn trotzdem er noch kein alter Mann ist, haben das schwere Leben und die letzten zwei Jahre an ihm gezehrt. Dennoch gelingt es ihm, wenn auch mit vielen Mühen, das Loch zu erweitern, sodass er mit einem kräftigen Ruck seiner Oberarme ins Freie gelangt. Heftig atmend und schwitzend hockt er sich auf das Dach, von dem er befürchtet, es könne unter seinem Gewicht vollends zusammenbrechen.
In der Ferne sieht Kenneth die Fackeln und hört die Stimmen der aufgebrachten Meute. Lieber Gott, was hat Richard angestellt? Wieso ist der
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