Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
es hier Wasserschlangen gab. Kleine, sehr giftige Reptilien, die sich blitzschnell unter Wasser bewegten. Die ihre Heimstatt im Schilf hatten, dort ihre Eier ablegten. Pfeilschnell schossen sie aus ihren Verstecken und töteten ihr Opfer mit einem giftigen Biss. Linda hasste Schlangen!
Hinter ihr das Krokodil und irgendwo Wasserschlangen! Was erwartete sie noch? Was würde noch geschehen? Hatte sie ihr Leben verspielt?
Sie stieß sich hart ihre Knie. Oh nein. Etwas griff sie von unten. Wild kraulte sie vorwärts. Ihr Kopf sank unter Wasser. Sie kraulte - flüchtete. Sie stieß sich ihre Ellenbogen. Was war das?
Unter ihr war Grund. Schlammig und mit Steinen durchsetzt. Grund. Das Wasser hier war nicht höher als einen halben Meter. Linda zog ihre Beine an und richtete sich auf. Sie fuhr herum. Der dunkle Schatten trieb unbeirrt auf dem Wasser. Sie kniff ihre Augen zusammen. Das letzte Abendlicht fing sich auf einem Baumstamm.
Dankbar schluchz te Linda. Sie taumelte ans Ufer.
18
Mamothma beugte sich über sie.
Sie war Sephrete und sie war dankbar, dass sie bei ihm sein durfte.
Nun würde endlich alles so sein, wie er es sich erträumt hatte, er - ihr Liebster! Er, der größte Magier der Dynastien, er, der dem Pharao getrotzt hatte und sich nun anschickte, sein eigenes Reich zu gründen.
Und sie würde es sein, die ihn dazu befähigte.
Gab es ein Leben, das sie zuvor gelebt hatte, Erinnerungen, die so weit und fremd, aber doch Bilder waren? Sie sah sich als junges Mädchen. Sie sah sich, Bücher unter dem Arm, eine hohe Treppe hinauf gehen. Sie saß mit vielen anderen Menschen ihres Alters in einem Raum und lauschte den Worten eines Erwachsenen. Sie stand vor einem aufgeworfenen Erdhügel und sie weinte. Neben ihr stand eine Frau. Sie weinte auch. Man ließ eine schwere Holzkiste in die Erde hinab. Trauer. Töne schwangen in ihr. Musik. Rhythmische Klänge. Von jungen schönen Männern gemacht, die sich gleichmäßig bewegten. Sie hatten einen fremdländischen Namen und einer von ihnen, blond und süß anzuschauen, blinzelte ihr zu. Sie hatte die Frau im Arm. Jene Frau, die neben ihr gestanden und geweint hatte.
Wer war diese Frau?
Sie war so weit entfernt und es schien doch, als gehöre sie zu ihr -
zu Sephrete!
(Grace!)
Sephrete!
Ein fremder Name, ungewöhnlich ausgesprochen. Grace ...
»Denke nicht an sie«, flüsterte Mamothma hinter seiner Maske. »Sie ist weit entfernt und sie gehört nicht zu dir. Ich bin es, der zu dir gehört. Ich bin es, dem du etwas schuldest. Und der Zeitpunkt, deine Schuld einzulösen , ist gekommen.«
Er hob seine Hände und weiche Nebel umhüllten sie. Wispernde Stimmen und ein Wohlgefühl. Noch immer lag sie auf dem Stein. Regungslos und müde. So müde.
Es würde geschehen, wie es geschehen musste.
Sie würde ihre Schuld einlösen.
Linda kauerte am Ufer des Flusses und untersuchte ihre Füße.
Sie war durch Schlamm und über spitze Steine gewatet. Dem Himmel war Dank, dass sie ihre Schnürsandalen angezogen hatte, nachdem sie heute Mittag keine Ruhe gefunden hatte. Die feste Sohle hatte sie vor Verletzungen geschützt. Sie schlang ihre Arme um den Oberkörper. Es war kalt. Seitdem die Sonne den Kampf gegen die Nacht verloren hatte, fielen die Temperaturen unaufhaltsam. Das Thermometer konnte um diese Jahreszeit bis unter den Gefrierpunkt fallen - sogar in der Wüste. Sie bewegte ihre Arme, stand auf und tanzte auf und nieder, um ihren Kreislauf in Bewegung zu halten. Die nasse leichte Kleidung klebte wie eine eisige Haut auf ihr.
Was war mit Brad und Kapitän Akbar geschehen? Wo waren sie jetzt? Wurden sie von den Jüngern gut behandelt? Oder quälte man sie? Linda zitterte, als hätte man sie an Strom angeschlossen. Ihr Körper bebte.
Es galt, dem einmal eingeschlagenen Weg zu folgen. Und dies bedeutete, ein Taxi zu suchen.
Sie spendete dem Nil einen letzten Blick und kletterte die Böschung empor. Irgendwo hier musste es Menschen geben. Eine Siedlung. Irgendwen, der ihr helfen würde. Über Linda beugten Dattelpalmen ihre büscheligen Köpfe. Für einen Moment war sie versucht, sich an einen der Stämme zu lehnen und in die Knie zu rutschen. T iefe und dunkle Müdigkeit überzog sie. Waren es die Nachwehen der Kopfschmerzen? Wie viel konnte ein normaler Mensch ertragen? Seit zehn Stunden erlebte sie Dinge, die ihr Weltbild veränderten. Bisher hatte Linda nicht eine Sekunde an Geister geglaubt. Wie würde sie in Zukunft mit diesem Wissen umgehen?
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