Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
war warm. Zu warm. Es fühlte sich unangenehm an. Schmierig und dreckig. Sie suchte ihre Umgebung ab. Nichts. Sie war alleine. Links und rechts von ihr, in weiterer Entfernung, als sie gedacht hatte, die Ufer. Sie befand sich ungefähr auf der Mitte des Flusses. Sie musste sich ein Ufer aussuchen.
»BRAD!«, rief sie. »AKBAR! BRAD!« Niemand antwortete ihr. Sie war alleine auf diesem geschichtsträchtigen Fluss. Über ihr zogen Reiher ihre Kreise im Abendrot.
Es gab keinen Zweifel. Brad und Akbar hatten es nicht mehr geschafft. Sie suchte sich das Ufer aus. Da sie nur mit leichten Sachen bekleidet war, konnte sie gut schwimmen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Irgendwo gab es ein Taxi, das sie zum Tal der Könige bringen würde.
Hatte Mamothma nicht gesagt, sie sei auserwählt? Er warte darauf, dass sie freiwillig zu ihm käme? Er sollte seinen Willen haben. Vielleicht würde er ja so lange warten. Hatte Mamothma Kontakt zu seinen Jüngern? Irgendeine telepathische Gedankenübertragung? Wusste er schon, dass sie zu ihm unterwegs war? War alles nur ein großes Spiel gewesen? Hatte man sie bewusst von Bord springen lassen? War dies der Grund dafür, dass es Brad und Akbar nicht gelungen war? War sie von Anfang an auserwählt gewesen, den Weg ins Tal der Könige zu gehen?
Sie streckte ihre Arme. Sie bewegte sich ruhig. Langsam schwamm sie voran. In ihrem Magen bohrten Erschöpfung und Hunger. Sie hatte heute früh das letzte Mal etwas gegessen. Außerdem musste sie auf die Toilette. Na, was machte es schon, wenn sie in diesen Fluss pinkelte? Sofort ging es ihr etwas besser. Das Ufer schien unendlich weit entfernt zu sein. Es war nur noch ein schwarzer Schattenriss. Die letzten Strahlen der Sonne zauberten blutrote Bilder in den Himmel und auf das Wasser. In wenigen Minuten würde es dunkel werden. Grusel zog über Lindas Körper. Sie schwamm auf im Nil, tausende Kilometer von zu Hause entfernt. Sie war alleine in einem fremden Land. Mit ursprünglicher Gewalt hatte sich ihr Leben seit heute Morgen verändert.
Links von ihr ragte Schilf aus dem Wasser. Seltsame Geräusche im dunklen Grün, Linda zuckte zusammen. Unbeirrt schwamm sie weiter. Grace hatte nur noch sie. Würde sie Grace verlieren, bräche ihr Herz. Sie liebte ihre Tochter mehr als alles andere im Leben.
Erneut schreckten sie Geräusche auf, ein Rascheln, ein Platschen, das aus dem Schilf herrührte.
Hatte Akbar nicht gesagt, in diesem Fluss gäbe es Krokodile?
Linda schwamm etwas schneller. Sie spürte, dass sich Panik in ihr ausbreiten wollte. Davon durfte sie sich nicht übermannen lassen. Das wäre das Ende. Ihre Muskeln würden sich verkrampfen , und sie würde erst Wasser schlucken und wenig später Wasser atmen! Sie musste g elassen bleiben. Und war es noch so anstrengend. Immer schön gelassen bleiben. In den letzten zwei Tagen hatte sie kein Krokodil gesehen. Vermutlich waren die Tiere durch die vielen Nilschiffe sowieso vertrieben worden.
Und doch platschte es furchterregend hinter ihr. So, als habe sich ein schmaler Körper auf die Wasseroberfläche gelegt. Ein schmaler Körper mit einem beweglichen Schwanz , mit einem riesigen Maul und spitzen Zähnen.
Wie würde es sein, wenn ein Krokodil sie zu fassen bekäme? Würde sie Schmerzen leiden? Würde der Schreck sie töten? Würde das mächtige Tier sie in die Tiefe ziehen und sie furchtbar ertrinken ?
Vorwärts und - vorwärts - und - vorwärts! Eine Bewegung nach der anderen. Nicht nach hinten schauen. Da vorne war das Ufer. Es war ihr Ziel. Und es wurde immer größer, rückte immer näher.
Neben ihrem Kopf kreischte etwas. Linda schrie auf. Sie schluckte Wasser und stieß die dreckige Brühe wieder aus. Ein Vogel. Sie hatte einen Vogel aufgeschreckt. Schilfhalme schlugen gegeneinander, zischelten sich geheimnisvolle Dinge zu.
He, da ist ein Eindringling. Ein Mensch, der in unser Territorium eingedrungen ist.
Krachten da nicht Zähne aufeinander? Linda blickte sich nun doch um. Ein schwarzer Schatten zog hinter ihr über das glitzernde Wasser. Ein Schatten, der mehr als zwei Meter lang war. Es musste ein Krokodil sein. Vermutlich beobachtete es seine Beute schon. Wartete darauf, sie zu erlegen.
Lindas Körper wurde von wildem Schrecken geschüttelt. Obwohl sie sich stetig bewegte und das Wasser lauwarm war, kroch eine eisige Kälte in ihr hoch. Fasste ihre Zehen, kribbelte über ihre Beine, fuhr über ihren Rücken bis hoch in ihren Nacken.
Wasserschlangen! Sie hatte gelesen, dass
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