Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
Wann brannten ihre Sicherungen durch?
D ie Zeit lief ihr davon! M otiviert beschleunigte sie ihre Schritte. Sie fand einen schmalen , sandigen Weg. Er wies zwischen zwei Felsen hindurch. Dahinter fiel das Land steil ab. Linda atmete erleichtert auf. Vor ihr erstreckte sich eine Siedlung. In den Fenstern der Lehmhäuser brannten Lichter. Helles Lachen drang zu ihr. Eine Tür wurde aufgestoßen. Musik erklang. Über der Siedlung lag eine heitere Stimmung. Sofort wurde Linda deutlich, warum dies so war. Die Sonne war untergegangen. Es war Ramadan - Fastenzeit! Bis zum Tagesanbruch durfte nun jeder Moslem essen, trinken und rauchen, soviel er wollte. Diese Zeit erstreckte sich über viele Wochen. Jeden Abend wurde ein ausgelassenes Fest gefeiert. Der Duft gebratenen Fleisches wehte zu Linda. Wasser lief ihr im Mund zusammen. Zielstrebig nahm sie den sich zwischen Palmen dahinschlängelnden Weg in Richtung der Häuser. Jemand brauste mit einem Moped auf den kleinen Dorfplatz. Ein Dromedar scheute und knurrte ungehalten. Um Tier und Mensch legte sich eine gewaltige Staubwolke. Kinder klatschten aufgeregt in die Hände und liefen zu dem Mann. Dieser öffnete eine Einkaufstüte und warf Süßigkeiten in die Luft. Die Kinder tobten kreischend, bis sie alles eingesammelt hatten.
Ein Alter, der sich auf einen knorrigen Ast lehnte, tapste gebeugt aus der Dämmerung herüber.
Hier stand die Zeit still! Diese Menschen leb t en in ihrer Grundstruktur wie seit Jahrtausenden. Flussbauern. Fellachen.
Und Mamothma war einer von ihnen gewesen.
Sie verließ die Schwärze des Schattens und trat auf den Platz. Sofort war sie der Mittelpunkt aller Blicke. Touristen waren nach Sonnenuntergang entweder auf einem der großen Märkte, oder feierten in ihren Hotels oder auf den Schiffen. Diese Frau hingegen, nass, mit zerzausten Haaren und zerkratzten Beinen sah nicht so aus, als sei sie auf einer Vergnügungstour.
Der Alte machte eine gebieterische Gebärde , und die Kinder verschwanden in den Hütten. Er drehte wie ein hagerer Geier seinen Kopf zu Linda und musterte sie aus verkniffenen Augen. Sein faltiges Gesicht war regungslos. Der weiße fransige Bart wippte leicht.
Der junge Mann schob sein Moped weg und lehnte es an eine Palme. Gackernde Hühner hopsten ihm über die Schuhe. Mit einer harschen Fußbewegung schob er das Federvieh weg.
Einige Frauen verdeckten mit schwarzen Schleiern ihre Gesichter, sodass ausschließlich ihre Augen zu sehen waren. Sie drehten sich weg und folgten ihren Kindern.
Ein Junge nahm das Dromedar an das Halfter und führte es weg. Das hochbeinige Tier trottete gemütlich hinter dem Jungen her , wobei es munter furzte .
Es kehrte Stille ein. Das Lachen verstummte und Misstrauen schlug ihr entgegen. Verlegen lächelnd trat sie vor. Sie suchte jemanden, mit dem sie sich verständigen konnte. Irgendwo schnatterte jemand aufgeregt auf Arabisch.
Nie zuvor war ihr diese Sprache so fremd erschienen. Nie zuvor hatte sie sich unter Menschen so einsam gefühlt. Verlegen näherte sie sich dem alten Mann, der regungslos wie eine Statue wirkte.
Der junge Mann kam über den Platz zu ihr hin. Er sagte einige Sätze auf Französisch. Linda zuckte mit den Achseln. Er versuchte es mit der deutschen Sprache.
»Ich bin Amerikanerin«, sagte Linda und stellte sich vor.
»Ah – wunderbar. Mein Name ist Muchmat Silim .« Er war ähnlich schmal wie Akbar, hatte schwarze Haare und einen kurz gestutzten Vollbart. Er trug den landesüblichen grauen Kaftan. Seine nackten Füße steckten in einfachen Sandalen. Als er lächelte, entblößte er zwei Zahnlücken. »Eine Amerikanerin. Ich liebe die Amerikaner. Wir lieben Eure Fernsehserien.« Er deutete hinter sich. Erst jetzt bemerkte Lind a die Satellitenschüsseln, die auf den Dächern der Lehmhäuser prangten. Also war die Neuzeit auch an diesen Menschen nicht spurlos vorbei gegangen. Der kulturelle Gegensatz war derart prägnant, dass Linda fast gelacht hätte.
Der Alte machte kehrt. Er winkte den neugierigen Köpfen zu, die sich aus den Fenstern reckten. Stimmen brandeten auf. Kinderlachen. Musik. Es war, als habe jemand einen Knopf gedrückt. Das Leben ging weiter.
Linda atmete erleichtert auf.
»Kann ich Ihnen helfen?« Das Englisch des Arabers klang hart, aber verständlich.
Mit wenigen Worten erklärte Linda ihr Anliegen.
»Das ist ein seltsamer Wunsch,« sagte Muchmat Silim . »Niemand fährt um diese Zeit in das Tal der Könige. Das machen die Touristenbusse am
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