Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
Eine schreckliche Vorstellung. War es das, was Mamothma wollte? Hatte er darum auf sie gewartet? Hatte er deshalb gesagt, sie solle freiwillig kommen? Hatte er gewollt, dass eine Mutter den Tod ihrer eigenen Tochter mit anhören sollte? Das war pervers! Das war einer tiefen , dunklen und bösen Seele würdig!
Doch wie sollte Linda die Steine fortbewegen? Wie sollte sie in die Grabkammer eindringen?
WIE WAR ES MAMOTHMA UND GRACE GELUNGEN?
Also gab es eine Möglichkeit. Mamothma mochte ein Geist sein. Grace war ein Mensch. Und Menschen können nicht durch Steinwände gehen ... oder?
Lindas Verstand arbeitete auf Hochtouren. Erneut wimmerte Grace. Ihr kleines Mädchen. Ihre liebste Tochter. Sie hatte Angst, große Angst. Und dieser Geist, der eine Dynastie des Grauens schaffen wollte, hielt sie in seiner Gewalt.
Verzweiflung stieg in Linda hoch. Es gab Dinge, die funktionierten einfach nicht. Und dazu gehörte, in wenigen Minuten tonnenweise Geröll wegzuschaffen! Es war zum wahnsinnig werden.
22
Noch nie in ihrem Leben war Linda so zornig gewesen. Dieser Zorn mischte sich mit absoluter Hilflosigkeit und gebar ein ihr völlig fremdes Gefühl von Hass. Dieses Gefühl war negativ und zerstörerisch - und sie schämte sich dafür. Andererseits gab es ihr Kraft! Unglaubliche Kraft!
Sie stürzte vor und legte ihre Hand um den ersten Stein. Sie warf ihn hinter sich, als handele es sich um einen Softball aus Schaumstoff. Der nächste Stein. Nicht ganz so groß. Weg damit. Und der nächste Brocken. Scharfkantig. Weg damit. Er kollerte durch die Halle bis auf die andere Seite. Er hatte kein Gewicht, wie auch der nächste Stein nicht. Linda arbeitete versessen. Sie spürte keine Schmerzen. Nicht in den Fingern, nicht im Rücken. Sie spürte kein Gewicht. Sie handelte wie im Traum. Sie wollte auf die andere Seite. Sie wollte hinein in die Grabkammer. Sie wollte zu ihrer Tochter. Sie verfügte über eine Kraft, die sie nicht einmal erahnt hatte. Also räumte sie Stein für Stein zur Seite. Wühlte und warf, hob und schob. Sie öffnete immer größere Lücken. Das Licht blendete sie. Es war grell und weiß und schoss durch die neu geschaffenen Öffnungen. Sie drückte ihr Gesicht an die Steine und versuchte, in die Grabkammer zu lugen. Sie sah nichts. Sie war wie ein Hund, der nach einem Knochen sucht. Sie formte ihre Hände zu Schaufeln und schob Schutt und Staub, Steine und Brocken hinter sich. Sie machte den Weg frei und bald wurde die Öffnung größer. Sie hob einen Stein, der in Kopfhöhe lag, weg. Sie nahm ihn auf, wie man ein Kind aufnimmt, taumelte damit zurück und warf ihn nach links in die Halle. Er krachte dumpf zu Boden. Steinsplitter stoben auf. Der Krach hallte ohrenbetäubend. Und weitermachen. Der nächste Stein. Schweiß floss Linda über den Körper. Ihre Sehnen und Muskeln revoltierten. Ihre Beine bebten. Ihre Fingernägel brachen ab. Sie spürte es nicht. Sie war wie eine Maschine. Sie kannte nur ein Ziel. Sie wollte zu Grace.
Sie heulte begeistert auf, als sich eine Öffnung vor ihr auftat. Schmal zwar, aber breit genug, um sich hindurch zu zwängen . Noch einige weitere Steine und sie würde aus der Öffnung einen Zugang gemacht haben. Es war fast geschafft.
Nun gaben ihre Beine doch nach. Ihr Kreislauf revoltierte. Sie torkelte, stützte sich am Geröllhaufen ab, drehte sich um ihre eigene Achse und brach zusammen. Sie hatte schon von solchen Kraftakten gehört. Davon, dass Menschen in höchster Not befähigt waren, ihre Grenzen um ein Vielfaches zu übers chreiten . Was sie nicht gewusst hatte, war, wie sehr der Körper sich gegen diese Schinderei auflehnte. Schwer atmend kauerte sie dort und lehnte mit ihrem schmerzenden Rücken an den Steinen.
Der Schreck, der sie umfing, war größer als jede Angst, die sie jemals empfunden hatte. Er war allmächtig. Für einen Moment stockte ihr Herz.
Vor sich sah sie auf zwei Beine. Sie waren wie aus dem Nichts aufgetaucht. Füße, die in Sandalen steckten. Ihr Blick fing sich daran und wanderte langsam nach oben. Ein buntes Gewand. Ein Amulett in Brusthöhe. Arme, weit vom Körper gestreckt. Darüber der Kopf - DER KOPF! Er nickte.
Über Linda stand Ba, der Vogelmensch!
Er blickte sie an . Dabei öffnete sich langsam sein Schnabel.
»Du bist eine mutige Frau«, gurrte er. Die Stimme klang fremd, jedoch verständlich. »Eine mutige Frau.« Die schwarzen runden Augen blickten tief und wissend. »Ich möchte dir helfen. Es ist Zeit, dir zu
Weitere Kostenlose Bücher