Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
besser, wenn sie woanders neu begann. Es wäre schließlich nicht das erste Mal.
Sie kam sich einsam und verlassen vor. Sie legte sich auf das schmale Bett und starrte an die Decke.
»Ich hab‘ uns `nen Bratling besorgt«, sagte Meggy stolz und legte eine Schale auf die Treppenstufen. Darin schwamm ein stinkendes Etwas, ganz von Öl ummantelt.
»Plattfisch, pfui Teufel!«, spie Bernard aus. »Wahrscheinlich hat Stockey, dieser Halsabschneider , anstatt Rapsöl wieder Lampenöl genommen.«
Er rümpfte seine Nase und griff sich den Bratfisch. Er biss hinein und verdrehte seine Augen.
»Ich dachte es mir ... Stockey hat wieder zur Hälfte eingekauft, Fisch von vorgestern. Damit man es nicht merkt, soll er nach Lampe schmecken.« Er stockte und blickte zu Meggy auf, deren Augen sich mit Tränen zu füllen begannen. »Oh, Meggy – oh Me ggy! Es tut mir so l eid.« Er ließ den Fisch aus seinen Fingern zurück in die Schale gleiten und stand auf. Hastig wischte er sich die Hände an seiner Hose ab und zog Meggy an sich. Sanft strich er ihr übers Haar. »Ich bin ein verdammter Egoist, Meggy! Du besorgst uns was zu essen, und was tue ich? Ich beschwere mich und meckere rum, als könnte ich’s mir erlauben!«
»Is‘ schon gut, Bernard«, machte Meggy sich von ihm frei. Ihre Wangen waren rot wie Tomaten. »Es is‘ das Einzige, was ich kriegen konnte.«
Sie ließen sich auf die Steinstufen herab, kauerten sich aneinander und teilten den Fisch.
Eisiger Wind kam auf, pfiff durch die Straßen und wirbelte Blätter auf. Er trieb eine graue Herde über den Himmel.
»Es wird regnen. In einer Stunde ist es dunkel. Im Quartier wartet man bestimmt schon auf uns.«
»Ach, Berny.« Meggy zitterte und drückte sich eng an Bernard. »Manchmal wünsch‘ ich mir, wir würden nie mehr mit Stroc k und den anderen zusammen sein. «
»Ich weiß«, nickte Bernard und spuckte eine Gräte aus. »Aber nur , wenn wir zusammenhalten, können wir überleben.«
»Sie alle sind Banditen!«
Bernard sah Meggy tief in die Augen. »Wir auch, Meggy, wir auch.«
»Aber ...«
»Du weißt, dass ich Recht habe.«
»Nnnnh«, schüttelte Meggy trotzig ihren Kopf. »Wir sind Straßenhändler. Das is‘ ‘ne gute Arbeit. Seitdem ich mich auf Siegelwachs verlegt habe, läuft’s besser. Ich hab‘ ‘nen eigenen Bauchladen und ich bin frei wie’n Vogel!«
»Ein verhungernder Vogel«, setzte Bernard hinzu.
»Unsinn, Bernie. Es is‘ mal so und so ... man munkelt, dass Schnupftabakdosen groß im kommen sind. Vielleicht steig‘ ich darauf um.«
»Und dann auf Bettwäsche und dann auf Kasserollendeckel oder Knöpfe.« Bernard knurrte. »Früher hatten wir große Märkte, Märkte, zu denen die Reichen kamen, weil dort immer was los war, weil der Himmel über London erleuchtet war von unseren Kerzen und Gaslampen. Wir waren wer und konnten ohne Probleme unsere Miete bezahlen. Heutzutage sind wir geächtet und werden verjagt. An den meisten Plätzen dürfen wir nicht an Ort und Stelle stehen, weil wir keine Genehmigung haben. Sobald das Standbein deines Bauchladens die Straße berührt, wirst du verscheucht. Die Wahrheit ist: Wir sind weniger wert als der Müll, aus dem man wenigstens noch Ziegel brennen kann.«
Meggy wollte etwas erwidern, als eine tiefe Stimme hinter ihnen ertönte.
»He, Berny – bist‘e am schmausen? Ohne mich? Das is‘ nich‘ die feine Art, oder? Ich und die anderen warten auf dich , und du haust dir mit leckerem Fisch den Magen voll!«
Ein Mann stapfte die Treppenstufen hinunter und glotzte auf die Gräten, die im Öl schwammen. Seine Lippen waren feucht von Speichel, der in den schwarzen Bart tropfte , und die Augen im breiten Gesicht flackerten wie Irrlichter. Die störrischen Haare waren mit einem Stirnband gebändigt. Sein Hemd starrte vor Dreck , und seine Hosenbeine waren über den Knien ausgefranst.
Bernard stand auf und baute sich vor Strock auf. Die Männer starrten sich an. Strock, einen Kopf größer als Bernard, räusperte sich. »Okay, Boss...«, murmelte er. »´N einzelner Fisch is‘ wirklich `n bisschen wenig für acht Leute.«
Bernard reichte Meggy die Hand und zog sie zu sich hoch. »Rufe die Männer zusammen!«, befahl er. »Wir haben heute Abend etwas vor.«
»Klautour?«
»Nicht heute«, schüttelte Bernard den Kopf. »Hast du schon vergessen, dass sie den alten Marcus vor einer Woche wegen Diebstahl gehängt haben? Er soll fast ne halbe Stunde gezappelt haben, denn der Henker war
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