Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
beide wissen, dass ich Mister Drought durch Ihre Anstellung in arge Verlegenheit brachte. Noch heute verlangt er nach Ihren Referenzen, was sein gutes Recht ist. Er will schlicht und einfach wissen, wer Sie wirklich sind. « Ein feines Schmunzeln stahl sich in sein Gesicht. »Nun – mit diesem kleinen Kampf werde ich schon fertig, immerhin ist Mister Drought schon seit mehr als vierzig Jahren in Stairfield House. Andererseits ... das s ich Sie zu mir nahm, war ein gesellschaftliches Risiko für einen Mann meiner Position! Besonders, wenn man bedenkt, dass meine Gattin nur drei Monate zuvor ein Opfer der Cholera wurde. Immerhin sind Sie eine ungemein attraktive Frau. Sie kennen ja die Speichellecker und Idioten, die nur darauf warten, dass ich ihnen den Rücken zuwende, um ein Messer hineinzustoßen. Ein Mann wie ich hat viele Feinde. Trotzdem scherte ich mich einen Dreck um das Gequatsche und gab Ihnen Arbeit - eine gute Arbeit, wie ich annehme, nicht wahr?«
Nell nickte.
Es war nicht ganz ungefährlich, als Hausmädchen in Diensten zu sein. Nicht selten wurden diese armen Dinger von ihren Herren missbraucht, manchmal auch von Paaren.
Von der Straße her drang gedämpftes Hufeklappern in den Salon.
In den Zwingern heulten die Hunde.
Ein Fensterladen schlug im Wind.
»S ie spielen Ihre Rolle gut, Nell. «
Er hatte sie das erste Mal mit ihrem Vornamen angeredet , und Nell akzeptierte es schweigend.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir. «
»Sehen Sie - eben das ist es. « Er streckte seine langen Beine aus. Sein Zeigefinger tänzelte über den Rand der Tasse. »Sie spiel en die Ergebene. Aber Sie sind es nicht, nein ... wirklich nicht! Welches Geheimnis schlummert in Ihnen, Nell?«
Um Haaresbreite hätte Nell ihn gefragt, welches Geheimnis sich in seinem Zimmer abspielte - und von schlummern konnte hier wohl keine Rede sein. Sie biss sich auf die Li ppen. »Ich habe nicht gelauscht. «
Blackhole nickte. »Sie haben Drought einen Lügner genannt. Ich schätze ihn sehr. Er hat mir empfohlen, mich von Ihnen zu trennen.«
Nell atmete schwer. Nur mühsam unterdrückte sie ihren Zorn. »Dieser Mann hasst mich . «
Blackhole musterte sie aufmerksam.
Unendlich langsam nickte er. »Zumindest hat er über Sie eine sehr kritische Meinung . «
»Was werden Sie tun, Sir?«
Blackhole schob das Gedeck weg und hievte sich aus dem Stuhl. Er deutete eine Verbeugung an, blickte Nell in die Augen und sagte: »Ich möchte Sie für heute Abend zu einem Dinner ins Hall Inn einladen!«
Pünktlich um 20 Uhr fuhr die Droschke vor.
Nell hatte sich ihr feinstes Kleid ausgesucht, ein unmodischer Lappen, doch sie hatte ihn mit bunten Stoffblümchen verschönert und sich die Haare über der Wasserschüssel gewaschen. In die langen , roten Strähnen hatte sie sich bunte Schleifen geflochten.
»Sie sehen zauberhaft aus«, sagte Adrian Blackhole. Er verbeugte sich galant, was Drought, welcher etwas abseits stand, mit einem Zähnefletschen quittierte.
Der Kutscher sprang von seinem Bock und zog die Tür auf. Blackhole half Nell in den Verschlag und folgte mit einem geschmeidigen Sprung.
Sekunden später preschte das Gefährt, von zwei Gäulen gezogen, über den Kiesweg vor Stairfield House zur Straße hinunter.
Die stahlumspannten Räder krachten über das Kopfsteinpflaster. Gaslaternen erhellten die Straßen. Menschen drängten sich vor den Eingängen der Gasthöfe, und mehr als einmal mussten sich unachtsame Laternenmänner mitsamt ihren Leitern vor der Droschke in Sicherheit bringen.
Nells Herz schlug schnell. Noch immer hatte sie sich nicht mit dem Gedanken vertraut gemacht, von Adrian Blackhole ausgeführt zu werden.
So etwas galt als an rüchig und konnte zu einem Skandal führen. Wenn die Menschen dieser Zeit auf etwas achteten, war es Klassenbewusstsein. Und ein Hausmädchen war nicht mehr wert als Dreck.
»Warum haben wir es so eilig?«, fragte Nell.
»Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, murmelte Blackhole.
Nell sah ihn fragend an.
Er winkte ab. »Ich hatte den Eindruck, von ein paar dunklen Typen beobachtet zu werden. Man weiß in dieser Stadt nie, ob sie einem nicht eine Falle stellen.« Er grinste jungenhaft. »Die Gauner, falls es welche sind, wissen nicht, dass ich niemals bar bezahle und deshalb nur wenige Münzen bei mir führe.« Er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Außerdem mag ich es, wenn die Pferde schnell sind. Manchmal möchte ich dann meinen Kopf aus dem Fenster strecken, den Wind im Haar, die
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