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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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warum.«
    Schweiß brach auf der Stirn des Mannes aus und rann ihm in den schütteren Bart. Sein Atem ging schwer und gepresst. »Weil Mike mir das gesagt hat.«
    »Mike Kerris?«, fragte Gallagher. »Chief Mike Kerris?«
    »Äh, ja. Er sagte mir, ich solle Sie beide ein bisschen erschrecken.«
    »Weshalb denn?«
    »Können Sie mir die Flinte aus dem Gesicht nehmen, Mann? Ich hab Angst, wenn ich niesen muss, dann schießen Sie mir meinen verdammten Kopf weg.«
    »Das ist auch gut so«, meinte Gallagher. »Also weshalb?«
    »Er sagte, Sie und Andie steckten Ihre Nase in alte Familiengeschichten, Angelegenheiten, die ein paar Leute lieber ruhen lassen wollten.«
    »Leute aus der Familie, den Powells, meine ich?«
    Chittenden nickte. »Meine Mutter ist eine Powell.«
    »Was verbergen die Powells denn?«
    Chittenden zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«
    »Du befolgst blind Kerris’ Befehle, ohne zu wissen weshalb?«
    »Ich will es lieber nicht wissen«, sagte Chittenden. »Meinem Laden ist es gutgegangen, der ganzen Stadt ist es in den letzten Jahren gutgegangen mit den Powells. Auf jeden Fall hab ich aufgepasst, dass Sie nicht verletzt wurden, nur ein bisschen erschreckt.«
    »Wo ist Kerris jetzt?«
    »Keine Ahnung«, gab der Ladenbesitzer zurück. Doch für einen Augenblick wurde seine Aufmerksamkeit vom Gewehrlauf abgelenkt.
    »Sie lügen«, sagte Gallagher und hielt ihm die Waffe so fest gegen die Nase, dass sie plattgedrückt wurde und ein pfeifendes Geräusch durch die Nasenlöcher drang.
    »Seien Sie vorsichtig, Mann!«, winselte Chittenden.
    »Reden Sie!«
    »Das letzte Mal, als ich Mike gesehen habe, war vorgestern«, stammelte Chittenden. »Einer meiner Scheinwerfer ist mir vom Dach gefallen, als ich hinter Ihnen her war. Das habe ich Mike erzählt, und er meinte, er wolle mal auf den Gorm Ridge rauf und danach suchen, bevor Sie oder Andie Nightingale den Scheinwerfer fänden.«

44
    Auf halbem Wege zum Gorm Ridge hinauf hörte und spürte Gallagher den Beginn des Gewittersturms. Blitze durchzuckten den Himmel. Der Wagen vibrierte von den Explosionen. Der Wind nahm zu. Hagel prasselte auf die leergefegte Schotterpiste nieder bis hinauf zu der Schlucht auf dem Massiv.
    Er entdeckte keine Spur von Kerris’ Suburban oder dem schwarzen Thunderbird, den Monsignore McColl nach Angaben von Lieutenant Bowman fuhr. Unterwegs war Gallagher eingefallen, dass der Priester Bergsteiger war. Er konnte den Elementen der Natur standhalten. Die Frage, die jedoch an ihm nagte, war, ob Andie Nightingale das ebenfalls konnte. Oder ob Charun ihre Leiche schon hinter einem bemoosten Stamm versteckt oder in eine Schlucht hinabgestoßen hatte.
    An der Schlucht hielt Gallagher an. Tannenäste gaben ihm schlüpfrigen Halt, als er sich über den Rand der Schlucht ganz in der Nähe der Bluekill-Quelle beugte und angstvoll durch das Dämmerlicht der Morgenfrühe spähte.
    Nach Westen hin zuckten Blitze durch das Tal von Lawton. Jedes Aufleuchten gewährte ihm Schwarzweißbilder von dem endlosen wütenden Kampf des Bluekill River mit der Felsenschlucht. Nasse, bemooste Felswände. Weiß schäumendes Wasser. Ein Stück Treibholz steckte zwischen zwei Felsblöcken. Aber keine Leiche.
    Gallagher wusste nicht, was er tun sollte. Andie war seit fast sechsunddreißig Stunden in Charuns Klauen. Oder sie war seit fast sechsunddreißig Stunden tot. Er musste ein trockenes Schluchzen zurückdrängen, als er an die brutalen Bilder der Nekrophilie im letzten Brief des Killers dachte und an die schreckliche Demütigung in Andies Stimme, als sie beschrieb, was Kerris ihr bei jener Party vor so vielen Jahren angetan hatte.
    Er kroch die Böschung wieder hinauf und stand mit zum Himmel erhobenen Handflächen niedergeschlagen da. Der Regen nässte sein Gesicht, und er sank im Schlamm des Weges auf die Knie, als er daran dachte, dass er seine zweite Chance für immer verpasst hatte.
     
    Der Wald vor Gallagher bestand aus Rottannen, zwischen denen einzelne verkrüppelte Hickory-Bäume standen, die sich im Wind bogen und unter der Wolkendecke ihre Konturen verloren. Ein schwach zu erkennender Wildwechsel führte zwischen den Bäumen hindurch auf ein paar hoch aufragende Felsen zu. Durch den Regen war ein fernes trillerndes Geräusch zu hören, wie von einer Zedernflöte auf einer Hochebene. Schwache Bewegungen signalisierten Leben und verschwanden wieder hinter den Felsen, so wie eine unbestimmte Form in den windgepeitschten Wolken erscheint und sich wieder

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