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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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eine öffentliche Trauerfeier, bei der alle, mit denen Seamus vor seinem Abstieg bei verschiedenen Anlässen zusammengearbeitet hatte, auftauchten und ihn in den Himmel hoben. Und danach brachte man in einem Pub Toasts auf ihn aus. Das eigentliche Begräbnis fand erst statt, als die Erde aufgetaut war. An dem rauen Apriltag auf einem Friedhof in Queens waren nur Gallagher und seine Mutter und der Sarg anwesend.
    Zwei Männer mit Schaufeln warteten ungefähr hundert Meter abseits. Gallagher fragte seine Mutter, ob sie nicht vielleicht etwas sagen sollten. Sie sah auf den Kiefernsarg hinab.
    »Ich hasse dich, Shea«, sagte sie.
    Gallagher verstand sie, auch er hasste seinen Vater, weil Selbstmord für diejenigen, die an ein Leben danach glauben, auf dem Gedanken beruht, dass man diese Welt für etwas Besseres verlässt. Gallaghers alter Herr hatte nicht geglaubt. Er war einfach von Bord gegangen und hatte Frau und Sohn für nichts und wieder nichts im Stich gelassen. Doch wurde Gallaghers Hass von der Erinnerung an Seamus’ hilflosen Gesichtsausdruck gedämpft, als er in der U-Bahn über ihn gelacht hatte.
     
    Die aufgeblendeten Scheinwerfer eines Pick-ups schossen plötzlich durch das Fenster der Hütte und schreckten Gallagher aus seinen Erinnerungen auf. Er hatte sich seit Jahren nicht erlaubt, an seinen Vater zu denken, und meinte, er sei über Seamus’ Tod hinweggekommen. Doch aus irgendeinem Grund hatte er in diesem Augenblick das dringende Bedürfnis, mit Seamus zu sprechen, sich zu erklären.
    Andie Nightingales klappriger Toyota fuhr vor, und Gallaghers Stimmung besserte sich merklich. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an einen hübschen Vogel, der tapfer durch die Gegend hüpft und seinen gebrochenen Flügel vor der Welt zu verbergen sucht.
    Er öffnete die Tür. In ihrem Haar glänzten Regentropfen, und ihre Wangen glühten von dem kalten Wind. Sie wirkte nervös, doch sah sie insgesamt wunderschön aus, nach Art einer Frau aus dem Gebirge.
    Er begrüßte sie mit einem Lächeln. »Sie sehen aus, als hätten Sie genauso einen harten Tag gehabt wie ich. Kann ich Ihnen ein Stück Forelle anbieten? Sie stammt aus dem Laden, aber was anderes habe ich leider nicht.«
    Sie antwortete nicht sofort, sondern schob sich an ihm vorbei, ohne auch nur sein Lächeln zu erwidern. »Sie sind doch eine Art Experte für Religionen und Mythologien, stimmt’s?«
    Die Frage holte Gallagher auf den Boden der Tatsachen zurück. »Und ich dachte schon, Sie wollten mir einfach nur einen Besuch abstatten.«
    »Sind Sie nun einer oder nicht?«, wiederholte sie sachlich.
    »Ich weiß einigermaßen Bescheid darüber.«
    »Wo waren Sie heute Morgen zwischen drei und vier Uhr?«
    »Da hab ich mich in dem durchgelegenen Bett dort oben herumgewälzt«, sagte er. Die Richtung gefiel ihm nicht, die die Unterhaltung nahm. »Was soll das alles, Ms. Nightingale? Oder soll ich Sie mit ›Sergeant‹ anreden?«
    »Gibt’s irgendwelche Zeugen dafür, dass Sie da oben waren?«
    »Ich glaube, ich muss Sie tatsächlich mit ›Sergeant‹ anreden«, meinte er. »Zeugen? Ja, ein Trio Mäuse.«
    »Ich meine es ernst, Mr. Gallagher.«
    »Ich auch. Einer der kleinen Banditen hat einen Entenflügel angenagt, den ich mitgebracht hatte, um Köder fürs Angeln damit zu knüpfen. Was ist, brauche ich jetzt einen Anwalt?«
    »Brauchen Sie einen?«
    »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie glauben, ich hätte den Zahnarzt ermordet und Sie dann gerufen, um ihn zu finden!«
    »Es ging mir durch den Kopf«, gestand sie.
    Gallagher rieb sich die Schläfen mit den Fingerspitzen. »Besser geht’s gar nicht, was? Hören Sie zu, Sergeant Nightingale, Sie sind Teil des schlimmsten Tages meines Lebens geworden – heute ist mein vierzigster Geburtstag, meine Exfrau, meine Exfrau … ach, vergessen Sie das … und dann finde ich eine Leiche im Fluss. Aber das Einzige, was ich in der letzten Zeit getötet habe, war eine Kakerlake, die unter dem Spülbecken hervorkam. Wenn Sie noch mehr Fragen haben, rufe ich besser einen Anwalt.«
    Nightingale sah ihn lange aufmerksam an, dann wurde ihr Gesichtsausdruck um einige Grade weicher, als hätte sie beschlossen, die Gangart ihres Verhörs zu ändern. »Haben Sie jemals von einem Mythos über einen blutroten Fluss gehört?«
    Gallagher verzog das Gesicht und überlegte, worauf sie mit ihrer Frage hinauswollte, bevor er antwortete: »Dazu fällt mir auf Anhieb nichts ein. Ist das alles, was Sie haben – einen blutroten Fluss? Ist

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