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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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Bewegung kamen: Ein Mörder schlich in Vermont umher, ein Wahnsinniger, der sich selbst für die Verkörperung eines alten Todesmythos hielt. Hätte Gallagher nicht die Leiche von Hank Potter gesehen, er hätte dies alles lachend abtun können wie eine übertriebene Hollywood-Geschichte. Doch er hatte die Leiche gesehen.
    Sie griff nach dem Blatt Papier und las es noch einmal. »Wurde Charun in dem Mythos etwas gestohlen?«, fragte sie.
    »Das ist nicht die richtige Frage. Charun ist eine unbedeutende Figur in Geschichten, die von größeren Göttern handeln«, antwortete er. »Ich meine, Sie sollten sich mehr dafür interessieren, wem er den Brief geschrieben hat.«
    Gallagher stand auf und kam um den Tisch herum, so dass sie beide den Text lesen konnten. Ihre Kleider rochen, als hätten sie Kiefernzweige gestreift.
    Nightingale wandte sich auf ihrem Stuhl um und lehnte sich zurück. »Was meinen Sie damit?«
    Gallagher zeigte auf die Textmitte. »Er, der Mörder, wendet sich an ein Du in dem Brief. Er sagt ›Lawton … Du hast gestohlen, was uns gehörte. Du hast mich verdammt …‹ Er spricht von ›deinem Verrat‹ und ›deinem Hass‹. Er sagt ›Lawton, ich werde dein Lotse zur Hölle sein‹.«
    »Dann ist das die Rache an der Stadt für irgendein Unrecht, das ihm, wie er glaubt, angetan wurde.«
    »Das und Schlimmeres«, antwortete Gallagher. »Der Brief ist wie ein Orakel geschrieben, was im mythologischen Sinne Warnung und Versprechen bedeutet.«
    Andie Nightingale starrte auf den Schluss des Briefes. Ihre Schultern zuckten, als sie sich der Tragweite der Situation bewusst wurde. »Sie wollen damit sagen, dass er wieder töten wird, nicht wahr?«

7
    Zwei Stunden später ging Andie Nightingale zwischen dem Tisch in ihrer Küche und dem als Wintergarten dienenden Alkoven auf und ab. Jedes Mal kam sie an einem roten emaillierten Holzherd auf einem Backsteinfundament vorbei sowie an zwei gepolsterten Ledersesseln, einem Regal mit Koch- und Gartenbüchern und einer Anrichte aus Naturkiefer, die sie noch nicht ganz lackiert hatte.
    Bei jedem Gang blieb sie vor dem Telefon auf der Anrichte stehen und klopfte mit dem Finger gegen die Kaffeetasse, die sie in den Händen hielt. Plötzlich klingelte das Telefon von selbst. Sie schrak zusammen und verschüttete etwas von ihrem Kaffee. Mit zitternder Hand nahm sie den Hörer ab.
    »Hallo?«
    »Andie, Liebes, bist du es?«, fragte eine ältere Frauenstimme. Sie klang so weich und voll wie heiße Schokolade.
    »Ja, Olga, ich bin’s«, gab Andie zurück und lächelte erleichtert.
    Olga Dawson war die beste Freundin von Andies verstorbener Mutter gewesen. Sie war achtundsiebzig und durch drei leichte Schlaganfälle, die sie in den vergangenen achtzehn Monaten erlitten hatte, etwas langsamer geworden. Olga lebte dort, wo sie fast ihr gesamtes Leben verbracht hatte: auf einer Farm an einer Sackgasse, die von der River Road abging, sechseinhalb Meilen von Andie Nightingales Haus entfernt.
    »Es ist wieder jemand ums Haus herumgestrichen«, klagte die alte Frau.
    Andie klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und ging zum Alkoven hinüber, wo sie ihre Pflanzen hielt. Sie sah sich aufmerksam die Erde um die Tomatensetzlinge an und begann dann, eine Fuchsie umzutopfen, die sie wohlbehalten durch den Winter gebracht hatte. »Glaubst du, dass jetzt auch jemand da ist?«
    »Vor ein paar Stunden, in der Abenddämmerung.«
    »Soll ich morgen mal vorbeikommen und nachsehen?«
    »Oh, das wäre nett von dir, Liebes«, antwortete Olga. »Ruf aber vorher an, damit ich dir was vorsetzen kann.«
    »Mach ich«, versprach Andie.
    »Vielleicht war ein Bär im Garten, weil er auf das junge Gras scharf war«, sagte Olga und machte eine kleine Pause. »Erinnerst du dich noch daran, als wir zur Bärenhöhle gegangen sind?«
    »Also, wie sollte ich das wohl vergessen?«, fragte Andie zurück und lachte dabei. »Da war ich sieben, und du hast mir erzählt, die Höhle oben am Lawton Mountain sei die größte Bärenhöhle der Welt.«
    »Ach, Liebes, ich vergesse so vieles«, seufzte Olga. »Aber manche Erinnerungen leuchten noch ganz hell.«
    »Aber natürlich«, beruhigte Andie sie. »Jetzt siehst du dir Jay Leno an, aber nicht im Bett rauchen! Sagen wir morgen gegen zehn?«
    »Das wäre wunderbar. Gute Nacht, Liebes.«
    Immer noch nachdenklich lächelnd, legte Andie Nightingale den Hörer auf. Olga hatte in den letzten fünf Jahren mindestens einmal pro Woche einen Fremden um ihre Farm

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