Mystik des Herzens
seine Gestalt, seinen Standort, seine Zartheit oder auch seine Wetterfestigkeit, seine Gesundheit oder auch durch seine Angeschlagenheit, seine Narben durch Stürme oder Blitzschläge: Ich versuche, mit ihm in seiner Baumheit zu sprechen und aus seiner Stille heraus die Antworten zu erspüren, die aus seinem und meinem gemeinsamen Leben und unser beider Lebendigkeit kommen.
Ich spreche mit ihm auch über Dorothees Gedanken, dass das Ja zur Sterblichkeit, des Baumes wie des Menschen, nichts anderes als eine Konsequenz ökologischen Denkens sei.
Zweite Übung:
Ich lasse mich auf Dorothees Hoffnung ein, die sie mit dem Gebet des Franz von Assisi verbindet, dass »Gott« uns zu einem »Werkzeug seines Friedens« machen möge. Dabei beginne ich mit der Frage, wo in meinem persönlichen Leben ungelöste Konflikte und Versöhnung anstehen. Ich frage mich, was von meiner Seite her die Versöhnung behindert oder gar verhindert. Sehne ich mich nach ihr (warum) oder fürchte ich mich vor ihr (aus welchen Gründen)? Was fürchte ich? Ich mache mir auch klar, dass ich selbst durch den Konflikt und die Unversöhnlichkeit einiges verloren habe, außen und innen, und was ich mir durch eine mögliche Versöhnung, und sei sie vielleicht nur bei mir möglich, falls das Gegenüber nicht mitmacht – selber wiederschenkte. Ginge es nicht auch um eine Versöhnung mit mir selbst, eine Überwindung der Verbitterung, die das Selbst- und Lebensgefühl vergällt? Ginge es nicht um ein inneres Wiedergewinnen der Gefühle für den in dem Konflikt verlorenen anderen Menschen? Wie wäre esmöglich, mich aufrichtig an seine Stelle und in ihn hinein zu versetzen, um Ansätze für ein Verstehen und vielleicht für eine Verständigung zu finden?
Die gleichen Gedankengänge und Überlegungen könnten mir vielleicht auch helfen, einen unversöhnten beruflichen Konflikt innerhalb meines Teams, meiner Institution neu anzugehen – und letztlich auch die Weltkonflikte mit einem inneren Mitgehen und Mittragen, oder durch Mitwirkung an ihrer Bewusstwerdung auffangen zu helfen? Wo könnte es auch für mich ein Mitengagement an der Friedens- und Versöhnungsarbeit geben, für die sich doch auch Dorothee Sölle unermüdlich einsetzte?
Dritte Übung:
Um auf den »Geschmack« an wirklicher Meditation zu kommen, kann ich Sölles Gedicht »Konzentrationsübung« Strophe für Strophe, Schritt für Schritt mit vollziehen: Es ist eine direkte Anleitung zur Meditation des Meeres, die von einem Nachsinnen über das Meer, zu einem Berührtwerden durch das Meer führt, das alle Sinne ergreift bis zur Ergriffenheit durch das Meer selbst, und in einer inneren Vereinigung mit dem Meer mündet.
Von Seiten des meditierenden Menschen her entspricht dem ein allmähliches Sich-Lösen von der Selbstbezogenheit, von der her er zunächst noch »über« dem Meer steht, noch über das Meer reflektiert, zu einem inneren Frei-Werden von sich selbst, bis eine selbstvergessene, hingerissene Vereinigung mit dem Meer geschehen kann.
Um ganz zu begreifen, worum es in dieser »Konzentrationsübung« auf das Meer geht, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass »Meer« für den Menschen zugleich Symbol für »Unendliches« ist, für Unendlichkeit, im Sinn von unendlicher Tiefe und unendlicher Weite. Es geht also bei dieser »Konzentrationsübung« um Meditation der Unendlichkeit.
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