Mystik des Herzens
mit dem Göttlichen beruht – wie bei Meister Eckart –, gewinnt sie eine Freiheit über alle Verhinderungs- als auch Vermittlungsversuche solcher Gottverbundenheit durch Menschen, wozu für sie letztlich auch die Vermittlung durch die Kirche gehört. Das macht sie den kirchlichen Behörden ihrer Zeit verdächtig.
An Marguerite Porète ist mir vor allem wichtig, wie sie aus ihrer Gottesliebe heraus eine Freiheit gegenüber allem, wirklich allem gewinnt, was Menschen ihr antun können. Damit nimmt sie im 14. Jahrhundert vorweg, was im 20. Jahrhundert einer Edith Stein widerfährt und was auch diese aus größeren Händen als denen der NS-Schergen entgegennimmt und erträgt. Marguerite Porètes Mystik ist keine so geschwisterlich ähnlich wie diejenige Meister Eckarts, beide müssten als Zeitgenossen auch voneinander gewusst und ihr gegenseitiges Schrifttum gekannt haben: doch Marguerite Porète als Frau begründet die Wesensgleichheit des Menschen mit Gott nicht durch eine Seins-,sondern durch eine Liebesverbundenheit: Wie das Eisen mit der Glut verschmilzt, so die Seele mit Gott, die für sie die Liebesglut selbst ist. Dieses Bild gebraucht sie immer wieder für die Einheit zwischen Mensch und Gott, für die Verschmelzung zwischen Mensch und Gott.
Marguerite Porète nimmt in gewisser Hinsicht die reformatorische Wende in der Kirche vorweg: Die »Freiheit eines Christenmenschen«, von der Luther spricht, der Freiheit des von Gott Angenommenen, der sich annehmen lässt und dadurch, nur dadurch »vor Gott … gerecht«, vor Gott recht ist, nicht aufgrund seiner Werke. Doch Marguerite Porète als Frau drückt in Begriffen, in Worten der Beziehung und der Liebe aus, was Luther als Mann unter anderem in juristischen Begriffen wie »Rechtfertigung« und »Gnade« ausdrückt, wobei auch er die Töne der Liebe kennt und anzuschlagen weiß.
Am Übergang zum 16. Jahrhundert, zeitgleich mit Reformation und Gegenreformation, lebt und wirkt Teresa von Avila, die große Reformerin des Karmeliterinnen-Ordens und damit letztlich auch eine Kirchen-Reformerin, im Blick auf deren Spiritualität. Dies ist sie nicht zuletzt durch die Entdeckung der Kontemplation, des wortlosen Gebets in der Stille. Es ist dies eine grundlegende Neuerung in der Gebetspraxis in der westlichen Christenheit.
Zugleich ist Teresa eine Frau der Tat, die ganz Spanien bereist und offene, heiße Auseinandersetzungen mit kirchlichen Behörden um die Verwirklichung ihrer Reformen führt: eine Frau der Tat, die die Kraft zur Tat aus der Stille des Bei-sich-Seins und Bei-Gott-Seins schöpft. Diese Kombination wird im 20. Jahrhundert auch bei Dorothee Sölle hervortreten: nur ist deren Wirken auf die ungleich größere Öffentlichkeit der Weltkirche und der Welt des 20. Jahrhunderts bezogen: auf die eine Welt, von der die Kirche vielleicht ein »Sauerteig«, aber doch nur ein Anteil ist. Im Spanien des 16. Jahrhunderts waren dagegen Kirche und großeÖffentlichkeit fast noch deckungsgleich. Teresa hat das geflügelte Wort geprägt: »Wenn Fasten, dann Fasten, wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn« – das nicht nur Fasten und Speisen gleichberechtigt nebeneinander stellt, sondern auch Fasten und feine Speisen. Zugleich hält in diesem Wort auch die Tiefe, Freiheit und Freude des Fastens, die jeder kennt, der es versucht hat, jener anderen Freude an einem festlichen Mahl die Waage. Teresa bringt auf eine neue Weise leibhaftige Geschöpflichkeit und Spiritualität zusammen, letztlich Gott und Welt.
Kontemplation und Meditation, heute von den Meditationswegen des fernen Ostens belebt, wurden damals durch Teresa auch im Westen entdeckt und heimisch. Dass die Suche nach dem »wahren Selbst« und nach Gott zusammengehören, schon von Augustin gewusst, ist von Teresas Kontemplationsweise zutiefst erfahrbar geworden, z.B. in einer bildhaft erlebten Schau, einer Imagination, in der sie den inneren Garten bewässert oder die Seele als innere Burg durchwandert und dabei die Entdeckung macht, dass in dieser Burg kein Geringerer als Gott wohnt.
Teresa sind auch ekstatische Erfahrungen nicht fremd, doch sucht sie diese nicht und leitet auch nicht zu ihnen an, sie sind nicht »machbar«. Man wird von ihnen überkommen, wird überwältigt, sie sind einem zugemutet oder auch geschenkt. Durch Teresa wissen wir nur, dass es so etwas gibt, wie in der zwischenmenschlichen Liebeserfahrung auch, und dass wir es nicht als solches schon pathologisch verdächtigen müssen (obgleich Teresa selbst
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