Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
die Freude, die ihn zum Strahlen brachte, wenn Mikado ihn berührte, nicht aus seinem Gesicht verbannen. Auf einmal war es ihm gleichgültig, dass sie ihn beobachteten, und er achtete auch nicht auf den Schmerz, der seinen Arm durchzuckte. Jetzt zählte nur noch, dass Mikado ihre Hand nicht aus seiner löste, bevor sie die nächste Tür erreichten, die sie ebenfalls mit einer leichten Berührung öffnete. Er folgte ihr hinein und lächelte, als sie in begeistertem Staunen hörbar nach Luft schnappte.
In diesem Zimmer war es wesentlich kühler, es roch nach Mondblumen und nach Frühlingsregen. Durch die Mitte des Zimmers plätscherte ein klarer Bach, der aus dem Nirgendwo kam und ins Nichts floss. Daneben saßen Frauen gemütlich auf dicken, rötlichen Kissen, plauderten und lachten, während ihre Hände im Wasser baumelten. Immer wieder zog eine von ihnen etwas hinaus, das aussah wie eine Münze, betrachtete sie aufmerksam, schnippte dann mit den Fingern, und die Münze verschwand in einer rosaroten Rauchwolke.
Auf der anderen Seite des Bachs hatten es sich Frauen im Schneidersitz bequem gemacht und tunkten Reifen ins Wasser. Eine junge Frau entdeckte Mikki und rief: »Seid gegrüßt, Empousa!«, und kurz darauf grüßten auch die anderen Traumweberinnen.
»Lasst euch nicht stören, ich möchte nur zuschauen«, beteuerte Mikki. Dann senkte sie die Stimme und stellte sich dicht neben Asterius. »Okay, was machen sie hier?«
»Der Bach führt Münzen aus all den Wunschbrunnen der gewöhnlichen Welt mit sich. Die Frauen suchen eine Münze aus, und wenn ihnen der damit verbundene Wunsch gefällt, verwandeln sie ihn in einen Traum.«
»Und wenn er ihnen nicht gefällt?«
»Dann bleibt die Münze im Bach und wird irgendwann Teil des Schlamms, aus dem Albträume gemacht werden.«
»Können sie die Münzen nicht wegwerfen oder so? Ich hasse Albträume.«
»Es muss ein Gleichgewicht geben, Mikado. Licht und Dunkel, Gut und Böse, Leben und Tod. Ohne Gleichgewicht würde der Kreis des Lebens zusammenbrechen.«
»Trotzdem mag ich keine Albträume«, grummelte sie. Dann deutete sie zu den Frauen mit den Reifen. »Und was machen die Frauen dort drüben?«
»Sie suchen die richtige Mischung aus Träumen, Wasser und Magie, um Wahrsagespiegel herzustellen.«
»Wahrsagespiegel?«
»Spiegel für das zweite Gesicht – in denen zu erkennen ist, was das Auge allein nicht sehen kann.«
»Wirklich? Das ist ja faszinierend. Weißt du, ich glaube, ich möchte mir das näher anschauen.« Damit ging Mikki hinüber zu einer der nach Münzen fischenden Frauen.
»Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr Euch zu mir gesellt, Empousa.« Sie lächelte Mikki freundlich zu und rutschte ein Stück auf ihrem Kissen zur Seite, um Platz zu machen.
Mikki setzte sich und spähte ins Wasser hinunter. Der magische Bach war klar und plätscherte über den weißen Sand, der seinen Grund bildete. Dann kam ein silberner Kreis in Sicht, und ohne viel nachzudenken, steckte Mikki die Hand ins Wasser und versuchte, die Münze einzufangen. Das Wasser war angenehm warm, ein netter Gegensatz zu der kühlen Luft in diesem Zimmer. Ihre Finger schlossen sich um die Münze, und mit einem triumphierenden Lächeln zog sie das tropfende Ding aus dem Wasser.
»Gut gemacht, Empousa«, lobte Asterius, der sich neben sie gestellt hatte. »Jetzt schaut hinein, ob es ein Wunsch ist, den Ihr erfüllen möchtet.«
Mit halb zusammengekniffenen Augen starrte Mikki auf die Münze. Schockiert stellte sie fest, dass es ein Vierteldollar war, mit dem Prägedatum 1995. Nur ein ganz normaler, unscheinbarer Vierteldollar, nicht anders als die anderen, die sie in ihrem Leben gesehen und ausgegeben hatte. Wie konnte er denn so etwas wie Magie enthalten …
Auf einmal kräuselte sich die Oberfläche des Geldstücks, und fast hätte sie es fallen lassen. Dann schaute sie genauer hin. Es war, als würde man das Auge an einen dieser alten Diabetrachter legen, nur bewegte sich die Szene in der Münze wie ein Video. Ein Mann und eine Frau lagen auf einem Schaffellteppich vor einem knisternden Kaminfeuer, sie waren nackt und schliefen miteinander. Mikki hörte, wie der Mann seiner Geliebten immer wieder sagte, wie schön sie sei und dass sie nach Honig und nach Liebe schmecke. Dann, als die Frau zum Höhepunkt kam, begann Schnee auf das Paar herabzurieseln, ohne die beiden jedoch zu berühren oder gar nass zu machen.
»Möchtet Ihr, dass der Wunsch zu einem Traum gemacht wird?«, fragte
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