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Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen

Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen

Titel: Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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einen anderen zu sich rufen konnte? Aber wie konnte er so etwas denken? Sie hatte bei dem Ritual einzig und allein an ihn gedacht.
    Also blieb er wohl weg, weil er dachte, er hätte sie verletzt. Oder vielleicht auch deshalb, weil er Angst hatte, dass er sie verletzen würde, wenn er zu ihr käme.
    Schon bei dem Gedanken überlief Mikki ein genussvoller erotischer Schauer. Diese Kraft – ein Tier, nur notdürftig in Schach gehalten von der Seele eines Mannes. Das war über alle Maßen köstlich. Und verflucht verführerisch.
    Okay, sie konnte ihn zu sich rufen. Dann musste er kommen. Aber wollte sie das? Sie wollte, dass er freiwillig zu ihr kam und …
    … das war es. Sie musste zu ihm gehen, das brauchte er! Wenn sie zu ihm ging, zeigte sie ihm, dass sie keine Angst vor ihm hatte, dass er ihr wichtig genug war – dass sie ihn genug begehrte, genug liebte , um zu ihm zu kommen.
    Gii hatte gesagt, dass seine Höhle unterhalb der Bäder lag. Mikki verschwendete keine Zeit damit, sich feinzumachen oder nachzudenken, sondern folgte einfach ihrem Gefühl und ihrem Herzen. So eilte sie den Weg entlang, der zu den heißen Quellen führte. Vom obersten Treppenabsatz ging sie die Stufen hinunter, die den großen unteren Pool mit den separaten Bädern darüber verband. Auf dieser Ebene war sie noch nie gewesen, aber sie brauchte nicht lang, um eine zweite Treppe zu finden, die eindeutig nicht so oft benutzt wurde wie die anderen. Diese Treppe war steil und führte nach Norden auf einen grasbewachsenen Bereich neben der Klippe, auf der der Palast und die Quellen lagen. Rechts erkannte Mikki das Labyrinth mit den Mikado-Rosen, die bei weitem die gesündesten Rosen des Reichs waren. Da sie mit Aeras und Asterius tags zuvor in der Gegend gewesen war, wusste sie, dass ihr Privattempel sich in der Mitte der spiralförmigen Beetanlage befand, und auch, dass es dort keine Höhle gab.
    Nachdenklich betrachtete sie die große Wiese. Sie zog sich am Fuß der Klippe entlang, einem Weg nicht unähnlich. Sie lächelte und folgte erneut ihrem Instinkt. Als sie um die Ecke bog, öffnete sich die Felswand unversehens zu einem glattbehauenen Höhleneingang.
    »Ein Versteck also«, flüsterte sie.
    Mit angehaltenem Atem ging sie hinein – und staunte. Der Eingang war nur ein bisschen größer als eine durchschnittliche Tür, aber im Innern tauchten Fackeln – durch Magie von jedem Rauch befreit – die Höhle in ein warmes, gelbes Licht, das sehr wohnlich und freundlich wirkte. Die hellen Wände waren hoch, glattgeschliffen wie die Bäder bei der heißen Quelle und üppig bemalt. Ehrfürchtig betrachtete Mikki die Bilder, die nur von einem äußerst talentierten Künstler stammen konnten. Die Szenen zeigten eine Felseninsel, umgeben von weißen Sandstränden und leuchtend türkisfarbenem Wasser. Die einzige Person in der Landschaft war eine nur in groben Umrissen gezeichnete, große Frau mit goldblonden Locken.
    Kreta – das müssen Bilder aus seiner Erinnerung sein, Erinnerungen an die Insel, auf der er geboren ist. Und die Frau? Ist das seine Mutter? Oder die Empousa, die ihn abgewiesen hat? Unsicher, ob sie das wirklich wissen wollte, wandte sie sich von der wunderschön geschmückten Wand ab. Im Zentrum des Raums stand ein großer Holztisch mit einer Schale Aufschnitt und Käse und einem Krug Wein. Außerdem lagen auf dem Tisch mehrere Pergamentrollen und Glasflaschen mit einer dicken, dunklen Flüssigkeit. Fasziniert trat Mikki näher und stellte fest, dass es sich um Tusche handelte. Eine Pergamentrolle war ausgebreitet und mit zwei glatten Steinen beschwert worden, so dass Mikki darauf eine fast fertige Tuschezeichnung erkennen konnte. Langsam ging sie um den Tisch herum, um zu sehen, was er skizziert hatte – und ihr blieb fast die Luft weg. Auf dem Pergament war sie in dem Ritual-Kleid, das sie in ihrer ersten Nacht im Reich der Rose getragen hatte. Sie stand im Hekate-Tempel vor der Geist-Flamme, und Asterius hatte auf der Zeichnung perfekt die Aura der Macht eingefangen, die Mikki in dem heiligen Kreis gespürt hatte: umweht von ihrer roten Haarmähne, einen entrückten Ausdruck auf dem Gesicht. Die Zeichnung war wunderschön – offensichtlich war hier sowohl Liebe zum Detail als auch das Talent eines großen Künstlers am Werk gewesen.
    Das hat kein Tier gemalt, sondern ein Mann, und zwar möglicherweise ein sehr verliebter Mann .
    »Hier habt Ihr nichts verloren!«, ertönte in diesem Moment ein Knurren.

28
    Die Kraft

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