Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
die Ohren auf, als wären auch sie gespannt auf ihre Antwort. Halb hysterisch fragte Mikki sich, ob Hekate sie ihnen wohl zum Fraß vorwerfen würde, wenn sie herausfand, dass das Ganze nur ein verrücktes Missverständnis war.
Sie holte tief Luft und begegnete den eisig grauen Augen der Göttin. »Ihr habt gesagt, ich hätte mich gesalbt – damit meint Ihr wahrscheinlich mein Parfüm.«
Hekate zog beide Augenbrauen hoch. »Parfüm? Und wie bist du an ein Parfüm gekommen, das genauso riecht wie das Salböl meiner Hohepriesterin?«
»Es war ein Geschenk von einer alten Dame, die ich heute Mittag getroffen habe …« Mikki schwieg einen Moment. War es wirklich heute gewesen oder waren seitdem Tage, wenn nicht gar Jahre vergangen? Sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken; im Grunde spielte es auch keine Rolle. Alles, was zählte, war, dass sie Hekate irgendwie klarmachen musste, dass sie nicht hierhergehörte. Vielleicht spielte das alles aber auch gar keine Rolle, weil dies keineswegs ihre neue Realität war, sondern weil sie in Wirklichkeit zusammengekauert auf dem Boden der Tulsa Rose Gardens lag und irre vor sich hin brabbelte.
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du keine Halluzinationen hast und auch nicht verrückt wirst, Mikado«, erwiderte Hekate bestimmt.
»Könnt Ihr meine Gedanken lesen?«
»Ich kenne all die tiefsten Ängste und innigsten Wünsche meiner Empousas. Jetzt erkläre deiner Göttin, wie es zu diesem Unfall gekommen ist.«
Deiner Göttin … Ein nie gekanntes, unvorstellbares Hochgefühl durchzuckte Mikkis Körper, als Hekate diese zwei simplen Worte aussprach. Es war, als würde sich tief in ihrem Inneren eine lang vergessene Erinnerung regen und allmählich zu neuem Leben erwachen.
Dein Herz erinnert sich, Empousa, wie auch dein Blut. Hekate sprach nicht, doch das Echo ihrer Stimme hallte in Mikkis Gedanken wider.
Eine Stimme in ihren Gedanken? Das klang so verrückt, dass Mikki erneut Angst bekam. Schnell redete sie weiter, in der Hoffnung, dass der Klang ihrer Stimme und die Tatsache, dass sie von etwas erzählte, was mit hundertprozentiger Sicherheit in der »wirklichen Welt« passiert war, ihren ins Wanken geratenen Realitätssinn festigen würde.
»Eine alte Frau hat mir das Parfüm gegeben. Wir sind ins Gespräch gekommen, weil sie wie ich nach einer Rose benannt ist.«
»Und wie hieß diese alte Frau?«
»Sevillana Kalyca.« Als Mikki den Namen aussprach, wurden die Augen der Göttin schmal. Aber Hekate unterbrach sie nicht, und so fuhr Mikki fort: »Ich hatte an dem Abend ein Date, also habe ich das Parfüm aufgelegt.« Sie verzog das Gesicht, als sie sich an den arroganten Professor Asher erinnerte. »Aber der Typ war schrecklich. Ich konnte mich gar nicht schnell genug aus dem Staub machen.«
Hekate nickte nachdenklich. »Nur wenige Männer sind einer Empousa ebenbürtig.«
Zu ihrer Überraschung sah Mikki Verständnis in den Augen der Göttin. Sie lächelte Hekate zaghaft an. »In der Liebe hatte ich bisher definitiv kein Glück.«
Hekate schnaubte. »Männer sind irrelevant.«
Mikki fühlte, wie sich die Anspannung in ihren Schultern zu lösen begann. Die Männer in ihrem Leben waren definitiv irrelevant gewesen. »Jedenfalls habe ich mich unterwegs entschieden, nicht gleich nach Hause zu gehen, und bin stattdessen durch den Park gelaufen, weil ich in den Rosengärten vorbeischauen wollte.«
»Du wohnst in der Nähe von Rosengärten?«, fragte die Göttin.
Mikki nickte. »Direkt gegenüber von den Tulsa Municipal Rose Gardens. Dort arbeite ich ehrenamtlich.«
»Sehr angemessen«, meinte Hekate erfreut. »Als Empousa ist es neben deinen Pflichten mir gegenüber deine wichtigste Aufgabe, dich um deine Rosen zu kümmern.«
»Ich habe mich immer um Rosen gekümmert. Genau wie meine Mutter und meine Großmutter und …«
»Die Frauen deiner Familie sind durch ihr Blut mit den Rosen verbunden, das weiß ich«, fiel die Göttin ihr ins Wort. »Allerdings weiß ich immer noch nicht, wie du mich beschworen hast.«
»Das war wirklich ein Versehen. Um zu den Rosengärten zu gelangen, musste ich durch den Park, und dort wurde gerade für das Theaterstück Medea geprobt. Sie brauchten jemanden, um für die Schauspielerin einzuspringen, die Medea spielen sollte, und da bin ich gerade vorbeigekommen. Der Regisseur hat gefragt, ob ich ein paar Zeilen lesen könnte, und das habe ich gemacht …« Mikki verstummte, als sie sich daran erinnerte, wie die Worte auf dem
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