Mythor - 034 - Drachenflug
dass der Stumme behauptete, unschuldig zu sein. Die Tätowierung sei verblasst, als durch Dreifingerauges Magie der Schatten in Mistra schlüpfte.
Doch in seiner augenblicklichen Verfassung deutete Mythor alles falsch. »Also doch! Ihr steckt alle unter einer Decke… Du hättest es verhindern können, Vierfaust… du bist schuld, dass ich sie nie mehr sehen kann!«
Als Vierfaust sich ihm verzweifelt näherte, um ihn zu beruhigen, schlug er heftig um sich. Tränen standen in seinen Augen. »Geh weg!« schrie er. »Geh weg, verschwinde!«
Er schwang sich in den Sattel Pandors, ehe Vierfaust es verhindern konnte, und gab dem Einhorn die Hacken zu spüren. Das schwarze Einhorn raste davon, und Schneefalke und Bitterwolf folgten ihm.
Zurück blieb ein Stummer Großer, der die Welt nicht mehr begriff. Er sah von dem verschwindenden Mythor dorthin, wo der tote Dreifingerauge lag. Er hatte sein Leben für die Rettung Mythors geopfert, wie es alle Großen getan hätten. Und nun dies…
Vierfaust begriff Mythors Verhalten nicht. Langsam setzte er sich in Bewegung, einsam und allein, verloren am Rand des Wüstengürtels. Er kam dem Toten mit jedem Schritt näher. Es lauerte keine Gefahr mehr, Ghorogh zuckte nicht mehr. Der Schatten war vergangen.
Vierfaust würde Dreifingerauge die letzte Ehre geben. Und während er zu dem Toten ging, dachte er immer wieder an Mythor.
*
Warum das? fragte sich Mythor zur gleichen Zeit, während er das Einhorn antrieb. Warum hat Vierfaust mir das Bild genommen?
Er begriff es nicht. Irgendetwas in ihm wollte es nicht begreifen.
Und er würde auch nicht nach Sarphand reiten. Das Juwel an der Strudelsee wie man es nannte, lockte ihn nicht. Als Dreifingerauge vom Koloss von Tillorn gesprochen hatte, war eine Erinnerung in ihm aufgeblitzt.
Er hatte sich mit Steinmann Sadagar und den anderen dort verabredet! Und zudem war es einer der Fixpunkte des Lichtboten!
Er würde also nicht nach Sarphand reiten, sondern auf dem schnellsten Weg zum Koloss von Tillorn, komme, was da wolle. Vierfausts flehende und verzweifelte Blicke sah er nicht. Er wandte sich nicht einmal um. Hätte Vierfaust sprechen können, hätte er ihm warnende Rufe nachgesandt. Sarphand war unumgänglich…
Doch selbst dann wäre Mythor in diesen Augenblicken nicht ansprechbar gewesen. Er jagte davon, wie von Dämonen gehetzt, seinem Ziel entgegen. Und irgendwie schien der Helm der Gerechten ihn dabei zu leiten; flüsternd wies er ihm den richtigen Weg.
Das Orakel-Leder hatte er sich wie ein Kraftband um den Oberschenkel gebunden. Der Helm umschloss seinen Kopf, das Schwert steckte in seinem Gürtel, Pandor war zwischen seinen Schenkeln, Horus über und Hark neben ihm.
Doch der Besitzer dieser unglaublichen Dinge und Wesen fühlte sich leer und einsam. Etwas bewegte ihn mehr als alles andere: Fronjas Bildnis!
Es war fort, und bei dem Gedanken daran rannen Tränen über sein Gesicht.
Die Verzweiflung über diesen Verlust fraß an ihm. Er hätte lieber alles andere verloren als das Bild der blonden Schönen, das ihm immer wieder neue Lebenskraft gegeben hatte.
Erst war das Pergament verschollen und jetzt die Tätowierung.
Mythor warf den Kopf in den Nacken und schrie. Er schrie seine Verzweiflung hinaus in die Welt, in eine Welt, die nichts von seinem Schicksal wissen wollte.
*
Nachspiel
Hrobon, der Vogelreiter, hielt viele Stunden später vor dem Kadaver des Drachen an, der sich wie ein Berg emportürmte. Schweigend verharrten auch seine Begleiter.
»Mythor«, knurrte Hrobon. Der Heymaler verzog das Gesicht zu einer finsteren Grimasse. Er jagte Mythor nach, der einen unglaublichen Frevel begangen hatte: Er hatte behauptet, der Gesandte des Lichtboten zu sein.
Doch das war der Shallad Hadamur! Und es war nicht nur eine Frechheit, sondern ein todeswürdiges Verbrechen, sich mit dem Shallad auf eine Stufe zu stellen.
Hrobon hatte gesehen, wie der Drache die sterbende Speicherburg verließ. Und er hatte die Lichtglocke auf seinem Rücken gesehen und trotz der großen Entfernung Mythor erkannt. Aber hier war niemand mehr! Nur noch eine Grabstätte, doch in dem Grab lag nicht Mythor, sondern ein Weiser Großer.
Eine Fußspur führte von dem Grab fort, kräftig ausgeprägt.
Hrobon trieb seinen Laufvogel an, und seine Begleiter folgten ihm. Der Heymaler folgte der Spur des einsamen Wanderers.
Aber überrascht musste er erkennen, dass diese Fußspur plötzlich abriss. So als habe sich der einsame Wanderer jäh in Luft
Weitere Kostenlose Bücher