Mythor - 068 - Traumland der Ambe
diesen Wunsch erfüllen. Ihre Hexe Larma wandte zwar jeden möglichen Zauber an, damit niemand etwas von dem Treiben meiner Mutter erfuhr. Dennoch konnte sie nicht verhindern, daß Gerüchte in Umlauf kamen und den Ruf meiner Mutter schädigten. Sie besagten, daß Hirele hinter den düsteren Mauern von Burg Tarlik bei Vollmond ausschweifende Feste veranstaltete, die stets in einem Blutbad endeten, wenn sie sich der männlichen Gespielen entledigte, um diese Zeugen ihres anrüchigen Lebenswandels zum Verstummen zu bringen.
Nichts von alldem ist wahr. Ich kenne die Wahrheit aus den Träumen. Ich weiß, was wirklich passierte, wenn ich auch das letzte Geheimnis meiner Entstehung nicht lösen konnte. Es heißt, daß ich einem Traum… Aber ich will nicht vorgreifen.
Hirele war eine stolze und ehrliche Frau, sie war gut zu ihrem Gesinde, egal welchen Geschlechts, und führte ein zurückgezogenes Leben. Nur ihre Hexe Larma kannte ihren geheimsten Wunsch nach einer Tochter. Und es war Larma, die ihr riet, sich mit jungen, kräftigen Burschen einzulassen, denen sie daraufhin die Erinnerung an dieses Erlebnis rauben wollte. Aber meine Mutter war zu unerfahren in diesen Dingen, und ihre nächtlichen Sitzungen mit den fremden Männern, die so sang- und klanglos wieder verschwanden, wie sie aufgetaucht waren, verliefen so harmlos wie die Stubengespräche mit ihren Dienerinnen.
Als Larma erfuhr, daß Hirele ihren Gespielen nie näher als bis auf Rufweite gekommen war, da wurde sie zornig und schalt meine Mutter eine eherne Jungfrau. Von diesem Zeitpunkt an begannen auch die häßlichen Gerüchte zu kursieren. Meine arme Mutter zog sich immer öfter in ihre Kemenate zurück, kapselte sich noch mehr von der Welt ab und vernachlässigte immer mehr den Kontakt zu ihren Freundinnen.
Aber Hirele hatte ihre Träume. Eines Tages, es war ein goldener Herbstmorgen, da wurde Hirele von einer seltsamen Krankheit befallen und mußte für Tage das Bett hüten. Es dauerte lange, bis Larma den Grund für ihre Übelkeit erkannte.
»Du bist schwanger«, eröffnete sie meiner Mutter. »Du erwartest ein Kind. Es wird ein Mädchen sein, das zum Jahreswechsel das Licht der Welt erblicken wird. Wie ist das möglich, wo schon seit über zehn Monden kein Mann innerhalb der Mauern von Tarlik war?«
Die Hexe rätselte lange herum und versuchte herauszufinden, ob Hirele geheime Verabredungen ohne ihr Wissen gehabt hatte. Aber die Herrin von Burg Tarlik versicherte immer wieder, daß sie nichts anderes getan hatte, als Fronja um eine Tochter anzuflehen.
»Und Fronja hat mir einen Traum geschickt«, eröffnete sie der ungläubig lauschenden Hexe. »Ich will ihn dir erzählen, damit du versuchen kannst, ihn zu deuten. Es war vor sieben Monden, als noch der Winter über Naudron herrschte und gegen den erstarkenden Frühling ankämpfte. Da stand ich auf der Plattform des Wachtturms und sandte Fronja einen innigen Ruf. Die Müdigkeit übermannte mich auf einmal, und ich muß eingeschlafen sein. Dabei war mir jedoch, als schwebe ich durch die Luft in ein fremdes, unbekanntes Land. Dort trat mir ein goldhäutiger Mann entgegen, der blondes Haar hatte und tiefblaue Augen, Augen von der Farbe eines Gletschersees. Und dieser blonde Gott berührte mich und trug mich hoch in überweltliche Gefilde, in eine Welt so wunderbar, daß die Sprache von Vanga nicht ausreicht, sie zu beschreiben. Es war für mich ein so einmaliges Erlebnis, daß ich mir schwor, nicht darüber zu sprechen, um die Erinnerung daran nicht zu zerstören. Um so ernüchternder war es, als ich zu den grauen Mauern von Tarlik zurückkehren mußte. Ich wurde immer schwermütiger, und ich fühlte mich elend… Und nun sagst du mir, daß ich neues Leben in mir trage. Verdanke ich es diesem Traum?«
»Ich werde ihn zu deuten versuchen«, versprach Larma. Sie zog sich für volle drei Tage in ihre Zauberstube zurück, und als sie an Hireles Krankenbett zurücckam, da kniete sie nieder und küßte die Hände meiner Mutter. Sie bat um Vergebung, aber Hirele hieß sie, dieses kindische Gehabe abzulegen und sich zu benehmen wie eine erwachsene Frau. Doch Larma wollte nicht vernünftig werden. Sie sagte:
»Es ist ein Wunder geschehen, Hirele. Die Frucht deines Leibes ist einem Traum von Fronja entsprungen. Vielleicht trägst du die kommende Tochter des Kometen unter deinem Herzen?«
Aber Hirele machte sich keine Gedanken darüber, sie wollte sich nur vergewissern, daß sie wirklich ein Kind in sich trug
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