Mythor - 068 - Traumland der Ambe
Ambes Garten bis hoch in den Himmel. Gelegentlich blinzelte die Sonne durch das Laubdach der Bäume und schickte ihr Licht in Streifen, in denen Blütenstaub tanzte. Da war wieder das Geräusch eines brechenden Astes – und gleich darauf stimmten Ambes Seelenpflanzen, die auf jede Art von Gefühlen ansprachen, einen chaotischen Singsang an.
»Ist hier jemand?« rief Mythor aufgebracht. »Scida! Ist es nicht unter der Würde einer Amazone, sich zu verstecken?«
Da teilten sich die Büsche, ein rauhes Gelächter erscholl, und heraus trat eine gedrungene Gestalt in Kampfkleidung.
»Kalisse!« rief Mythor überrascht aus, als er Ambes Amazone erkannte, unter deren Führung sie zu Vones Trittorhain marschiert waren. »Wie hast du uns gefunden?«
»Ich störe doch hoffentlich nicht?« meinte die Amazone und grinste anzüglich. »Ich könnte dich fressen, Kleiner! Was gibst du dich mit Gärtnerinnen ab, wenn du mich haben kannst?«
»Verschwinde auf der Stelle!« rief Mythor wütend. »Oder ich werde dich mit der Waffe davonjagen.«
»Ich mag es, wenn Männer sich zieren«, sagte Kalisse und zog mit der gesunden Rechten eines ihrer Schwerter. Mythor dachte, daß sie sich ihm zum Kampf stellte. Aber sie hob die Klinge vor sich und betrachtete sie mit einem melancholischen Ausdruck. Dabei sagte sie wie zu sich selbst: »Ich habe mit meiner Seele eine Amazone besiegt. Sie hieß Weskina, hatte aber noch nicht einmal eines ihrer beiden Schwerter getauft. Sie wollte ihr Seelenschwert nach mir benennen, falls sie über mich triumphiert hätte…« Kalisse seufzte und sah Mythor an: »Verstehst du, daß ich mich nicht schon wieder mit einem Niemand schlagen möchte? Sei also friedlich, Junge, und komme freiwillig in meine Arme.«
»Isgrin!« rief Mythor, ohne hinter sich zu blicken. »Verpaß dieser häßlichen Amazone einen Juckreiz und laß ihren Arm schrumpfen, damit sie sich nicht kratzen kann.«
»Von wem sprichst du?« erkundigte sich Kalisse. Sie hatte ihr Seelenschwert wieder weggesteckt und breitete die Arme aus, wie um ihn einzufangen.
Mythor blickte sich um und sah, daß der Platz hinter ihm leer war. Nur noch Isgrins schwarzer Mantel lag da.
»Du hast sie verjagt, Kalisse!« rief Mythor zornig und sprang zur Seite, als die Amazone auf ihn zustürzte. Ihre muskulösen Arme griffen ins Leere, und Mythor hieb ihr die Breitseite des Gläsernen Schwertes aufs gepanzerte Hinterteil.
Aber Kalisse lachte nur.
»Du bringst mein Blut in Wallung, Junge«, sagte sie und drehte sich wieder in seine Richtung. Sie spitzte die Lippen und warf ihm eine Kußhand zu. »Du bist einfach zum Fressen.«
Mythor mußte wieder ausweichen, als sie sich ungestüm auf ihn stürzen wollte.
»Mythor! Mythor!« erklang da die Stimme Gerreks. Im nächsten Augenblick kam der Beuteldrache auf die Lichtung gestürzt. Ihm im Nacken saß der Aase Lankohr und hielt sich an seinen Knitterohren fest. Gerrek kam zum Stillstand und warf der Amazone einen finsteren Blick zu. Dazu meinte er: »Da sind wir gerade zurecht gekommen, um dich vor großer Ungemach zu bewahren, Mythor!«
Kalisse nahm es mit Humor.
»Ich schnappe ihn mir schon noch«, sagte sie und verschwand in die Richtung, aus der Gerrek und Lankohr gekommen waren.
»Habt ihr Isgrin gesehen?« erkundigte sich Mythor besorgt.
»Ja, sie ist zu uns gestoßen«, erklärte Lankohr. »Aber, was viel wichtiger ist, wir sind auf eine erste Spur von Ambe gestoßen.«
»Habt ihr Isgrin mit Scida allein gelassen?« fragte Mythor.
»Ja, und?« sagte Gerrek. »Stell dir vor, hinter dem Hexenfort steht eine Art Mausoleum, und darin soll Ambes Geist wohnen.«
»Kommt«, sagte Mythor entschlossen. »Bringt mich zu Scida.«
»Hörst du uns denn überhaupt zu?« fragte Lankohr. »Liegt dir denn nichts daran, mit Ambe zusammenzukommen? Begreifst du überhaupt? Vielleicht ist Ambe bereits tot!«
»Ja, ja«, sagte Mythor ungehalten. »Aber etwas anderes bereitet mir größere Sorgen. Wer weiß, was Scida anstellt, wenn sie mit Isgrin allein ist.«
*
»Ich bin eine Amazone im Dienst der Zeboa und stamme aus der Walangei«, sagte Scida fast feierlich zu der Hexe an ihrer Seite. »Mein Wappen ist der geflügelte Löwe, und auch mein Beutesohn Mythor trägt dieses Zeichen.«
»Ich verstehe«, sagte Isgrin und legte der Amazone die Hand auf den Arm. »Ich will dir deinen Beutesohn nicht wegnehmen, Scida. Wir wissen beide, daß unser Glück nur von kurzer Dauer sein kann.«
Scidas Mund war verkniffen,
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