Mythor - 087 - Der Hexenhain
und Krallen auf sie und werden wie lästige Köter abgeschüttelt.
Sie sind nicht einmal in der Lage, die drei Fliehenden derart zu fordern, daß wenigstens einige im Kampf fallen. Sie kehren alle wieder zurück, niedergeschlagen, geprügelt, aber lebend und leidend.
Tertish, Vilge und Mythor, ich muß euch sogar dazu beglückwünschen, daß ihr noch die Kraft aufbrachtet, vor mir zu fliehen. Ihr hattet auch die Kraft, mir zu helfen, doch dem hat das Schicksal einen Riegel vorgeschoben.
Ich aber kann nur hoffen, daß sich mir bald wieder eine ähnliche Gelegenheit bietet.
3.
Wir entkamen Kilas erbarmungswürdigen Weibern, ohne mit ihnen die Klinge gekreuzt zu haben. Sie wichen jedem ehrlichen und offenen Kampf aus - ihren Hinterhalten und feigen Überrumplungsversuchen entgingen wir dank Vilges Magie. Sie legte für sie falsche Spuren und tarnte unseren Fluchtweg; diese Möglichkeit hob sie sich jedoch bis zu allerletzt auf, als es keinen anderen Ausweg mehr gab.
Der Verdacht, daß sie uns absichtlich auf Kilas verwunschene Burg gelotst hatte, war darum nicht von der Hand zu weisen. Warum hatte sie sich nicht schon eher ihrer Magie bedient? Vielleicht wollte sie Tertish in Versuchung führen und auf diese Weise sogar loswerden. Möglich aber auch, daß sie mich prüfen wollte.
Vilge äußerte sich nicht dazu, sie zeigte nicht einmal, ob sie mit meiner Handlungsweise zufrieden war. Ich jedenfalls war es. Was für ein Glück, daß ich mich noch rechtzeitig auf Fronjas Schicksal besonnen hatte.
Das Gläserne Schwert versagte mir den Dienst, und das gemahnte mich an Fronja, die nach dem Willen der Zaubermutter Zaem getötet werden mußte, weil sie sonst für die Welt Vanga eine ernste Bedrohung darstellte. Die Tochter des Kometen wollte ich retten, weil ich überzeugt war, daß sich eine andere Lösung finden würde. Wie durfte ich dann Hand an Kila legen! Das wäre wie mit zweierlei Maß gemessen…
Nachdem wir den Winkel der Kila Halbherz hinter uns gelassen hatten, kamen wir zu Aeras Steig. Das war eine lange, schier endlos scheinende zum Fuß des Berges hinabführende Treppe aus behauenen Steinen, die manchmal mit halbverfallenen Mauern begrenzt war und in gewissen Abständen hölzerne Rasthäuschen zu bieten hatte.
Vilge wußte dazu zu sagen, daß dieser Steig seine Entstehung einer Amazone namens Aera zu verdanken hatte. Diese Kriegerin hatte in einem Kampf bei Nacht und Nebel ihre beste Freundin getötet, in der Meinung, eine Feindin vor sich zu haben. Als sie ihren tödlichen Irrtum erkannte, hatte sie ihre Schwerter in den Dunklen Riß geworfen und gelobt, nie mehr wieder eine Waffe anzurühren. Als Buße hatte sie sich auferlegt, eine Treppe bis zum Gipfel des Berges anzulegen, an dessen Fuß sie ihre Freundin getötet hatte. Sie hatte ihr Werk nicht vollenden können, weil der Tod sie vorzeitig dahinraffte. Immerhin schuf sie in der Zeit von dreißig Jahren einen Steig, den zu bewältigen man einige Stunden benötigte.
Wir erreichten sein Ende in der Abenddämmerung dieses ereignisreichen Tages und kamen nach Sonnenuntergang zu Aeras Klause am Dunklen Riß, jener wasserführenden Kluft, die vom Hexenschlag blitzartig tief ins Land führte und die Lehnschaften Narein und Anakrom teilte.
Das alles wußte ich von Vilge, die es nicht müde wurde, meine Fragen zu beantworten. Was es mit dem Hexenschlag auf sich hatte, wußte ich ja bereits aus der Chronik von Burg Narein. Damals, vor dreieinhalb Großkreisen, also vor über fünfhundert Jahren, hatte Zaem, die damals noch eine Hexe war und Raem hieß, im Auftrag der Zaubermütter eine der furchtbarsten magischen Waffen eingesetzt, um damit das abtrünnige Reich Singara in den Fluten versinken zu lassen. Diese Waffe wurde Hexenhammer genannt.
Durch ein Mißgeschick, in den Annalen »Probeschlag« genannt, traf der Hexenhammer auch West-Ganzak, wodurch das Land in mehrere Teile auseinanderbrach. An der Aufschlagstelle aber entstand ein abgrundtiefer Krater, der sich mit dem Wasser des Meeres füllte und seitdem Hexenschlag genannt wird. Der Dunkle Riß war eine der fünf Bodenspalten, die mit dem Hexenschlag entstanden waren.
Vilge wußte zu berichten, daß dort allerlei Untiere hausten und namenlose Schrecken lauerten. Niemand dachte daran, diese Gefahren zu entschärfen, weil es die Amazonen als willkommene Abwechslung ansahen, hier Mutproben zu bestehen.
Tertish beteiligte sich an unseren Gesprächen nicht, und wir überließen sie sich selbst. Die
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