Mythor - 112 - Der magische Bann
verschwunden. Er richtete den Blick auf den Boden, sah, wie sich dieser auflöste. Tief fiel der Blick hinab in die Dunkelheit der Erde, in der das Fundament, nun unsichtbar, über dem Abgrund hing. Als sein Blick höher glitt, in das große Gewölbe, das an die Grabkammer eines Tauren erinnerte, sah er zwei Dinge, die sein altes Herz hoher schlagen ließen.
Er sah den Keilstein wie in Cescatros Vision. Er sah ein zweites mächtiges Gewölbe, das unter der Erde nordwärts verlief, ohne daß sein Ende erkennbar war. Thonensen versuchte sich an die Vision des Tauren zu erinnern. Es gab keinen Zweifel, es war der Titanenpfad, der hier tief unter der Erde begann. Er würde ein guter Fluchtweg sein, wenn ihr Vorhaben gelang.
Plötzlich durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Er taumelte und wäre fast gestürzt.
Als der Schmerz nachließ, war sein magisches Auge blind. Er schrie auf, denn nicht nur der magische Blick war erloschen, auch sein menschliches Auge war blind. Er griff danach und schüttelte den Kopf, doch er fühlte nur Taubheit in der einen Hälfte seines Kopfes.
Parthans Zauber war zu Ende. Aber um welchen Preis!
Aber die Nacht war voller Kraft, und Thonensen wußte mit ihr umzugehen. Er richtete die Kraft auf sein wundes Auge und befahl ihm zu sehen. Er schloß das andere, um besser erkennen zu können, wann die Blindheit wich. Es war ein langwieriger Zauber, denn er wußte nicht, wie ein Auge sah, noch wußte er, was Parthan zerstört hatte.
So entrückt war er der Wirklichkeit, daß er der Veränderung nicht gewahr wurde, die mit den anderen vorging.
Die Schar brach auseinander. Keiner achtete mehr darauf, was der andere tat. Jeder spürte plötzlich auf andere Weise, wie die Finsternis nach ihm griff.
Für die Lorvaner war es, als sänken sie in Schlaf. Traumwandlern gleich stolperten sie vorwärts. Sie sahen keine Hindernisse mehr, vergaßen, daß es ihre Gefährten gab. Nur Lella bäumte sich auf. Ihre engen Bande zu Nottr, die vom Herzen ausgingen und nicht vom Verstand, machten sie stärker. Er brauchte seine Flankenschwester jetzt. Sie wehrte sich, doch sie vermochte sich nicht aus dem Griff zu befreien. So klammerte sie sich halb wach und halb von Sinnen an Nottr – die einzige Wirklichkeit, das einzige, das sie schützen wollte – mehr als sich selbst.
Nottr begriff, was mit seiner Viererschaft geschah, denn er wehrte sich erfolgreicher. Es gelang ihm, bei fast klarem Verstand zu bleiben, indem er Thonensens Rat befolgte, und alle seine Sinne wie vor Tagen in Gianton nur auf eines richtete – auf den Anker im Sturm, auf den einen, den er warnen wollte.
Mythor! hämmerten seine Gedanken.
Mythor! Mythor! Mythor…!
Er sah Baragg und Keir vor sich in der fahlen Dunkelheit verschwinden. Er spürte Lellas kräftige Fäuste an seinen Armen, sah ihr verzweifeltes Gesicht. Er sollte ihr Kraft geben, aber er konnte es nicht. Nicht einmal an das, was es zu tun galt, wagte er zu denken. Er war verloren, wenn er seinen Anker losließ.
Mythor, Mythor, Mythor…!
Verbissen stapfte er vorwärts, mit einem Arm um Lella und seiner Faust um den Griff Seelenwinds.
Das Schwert war unruhig. Es zuckte in Nottrs Faust. Es war bereit zum Kampf. Horcans Seelen spürten den Feind ringsum. Nottr sah dunkle Schatten um sich. Es mochten Priester in ihren schwarzen Mänteln sein, oder Dämonen. Aber sie stellten sich ihm nicht in den Weg, und so nahm er sie nur vage wahr.
Es war noch ein weiter Weg bis an ihr Ziel im Innersten der Kreise. Der verdammte Sterndeuter hatte es sich zu einfach vorgestellt. Sie waren zu früh entdeckt worden.
Aber nun gab es kein Zurück mehr. Seelenwind würde zur Seite fegen, was sich ihnen in den Weg stellte. Als er etwas Fremdes in seinen Gedanken fühlte, kehrten sie hastig zu ihrem Anker zurück.
Mythor, Mythor, Mythor!
Duzella sah fasziniert, wie Merryones furchtsames Gesicht mit einemmal leer wurde, wie sie ratlos stand und niemanden mehr wahrnahm.
Taurond flüsterte: »Was hat sie nur, Duz?«
»Ich glaube, es ist dieser Schatten da oben«, erwiderte das Taurenmädchen. »Der Schatten der Schlange. Sie haben so kleine Gehirne. Das macht es den Dämonen so leicht…«
Sie brach ab, denn mit einemmal spürte sie es selbst. Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch und ballte die Fäuste in kindlicher Wut. Sie stolperte vorwärts. Sie fühlte Taurenkräfte in sich schwellen und stürzte sich wie ein Berserker auf die Monolithen, um sie aus ihrem Fundament zu reißen und zu
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