Mythor - 112 - Der magische Bann
Runenzeichen, den magischen Gesetzen – dem EMPIR NILLUMEN, der Urschrift der Gesetze des Nicht-Lichts.
Nach einer Weile, als die Sonne den Rand der Hügel fast erreicht hatte, begann sich die Luft zu verändern. Ein kalter Hauch wehte über die Hänge und ließ die Gefährten frösteln. Es war keine Einbildung, denn ringsum stiegen Vögel kreischend in den Himmel und verschwanden in alle Richtungen. Danach war eine lähmende Stille über den Hügeln.
Thonensen ging zu Duzella und Taurond, bevor sie sich daranmachten, das Lager abzubrechen.
»Bin ich euer Freund?«
»Ja, das bist du, Master Thonensen«, sagte der Junge.
»Nehmt ihr einen Rat von einem Freund an?«
»Ja, das tue ich«, erwiderte der Junge, aber das Mädchen schwieg.
»Es sieht so aus, als wäre große Magie in Vorbereitung, und stong-nil-lumen ist voller Gefahren, die vielleicht keiner von uns übersteht. Nottr und ich tragen Quatoruums Zeichen, wie ihr wißt. Ich glaube, daß wir erwartet werden, und daß ein Versuch zu fliehen sie nur amüsieren würde. Aber ihr… ihr solltet nicht diesen gefährlichen Augenblick für eure Neugier wählen. Wachst und streift diese Hilflosigkeit ab und kommt in Stärke und Weisheit zurück. Geht… geht ins Hochland… verbergt euch und werdet stark… es ist nicht euer Kampf… noch nicht! Bitte…«
Der Junge machte eine ungeduldige Handbewegung, die seltsam komisch wirkte mit seinen dicken Kinderhänden.
»Nein, Master Thonensen. Ich habe keine Furcht. Ich möchte sehen, wie du es zerstörst…« Seine Augen glänzten.
»Du hast recht, Master Thonensen«, sagte das Mädchen plötzlich mit leiser Stimme. »Es ist der falsche Augenblick. Aber es ist zu spät für Vernunft. Stong-nil-lumen läßt uns nicht mehr los. Es ist der Bann, von dem mein Taurenvater dir erzählt hat. Der Bann, der manche seiner Boten nicht zurückkehren ließ. Es ist seltsam… ich spüre ihn… Keiner von uns kann mehr umkehren…«
Merryone wurde bleich und zitterte.
Der Junge sagte: »Du spinnst, Schwester, ich spüre nichts…«
»Halt den Mund!« schnappte sie, und er schwieg verwirrt.
Die anderen nahmen es gleichmütig auf. Keiner zweifelte an Duzellas Worten, aber sie hatten dem Tod und der Finsternis zu oft von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, um nun den Mut zu verlieren. Sie wußten auch, daß die Finsternis zu schlagen war, und daß ihr langes Abenteuer erst endete, wenn die Götter es so beschlossen. Die lorvanischen Götter halfen dem, der sich selber half, das hatte sich immer wieder gezeigt. Der Sterndeuter dachte selten an seine eisländischen Götter. Er vertraute auf sein Wissen. Merryone betete zu Godh und Erain, aber sie glaubte nicht, daß die sie hörten, denn sie mußten weit fort sein, wenn sie es zuließen, daß solch schreckliche Dinge in Caer geschehen konnten.
Und die Tauren? Cescatro hatte nicht preisgegeben, zu welchen Göttern die Tanen fluchten oder beteten, als solche Schmach über ihr Volk kam.
Als die Nacht hereinbrach, stieg Nottrs Schar auf das Plateau der Steinkreise hinab. Der Mond war hell und voll. Sie fanden ihren Weg leicht zwischen den Ginsterbüschen.
Sie waren zu Fuß unterwegs. Arel und der Schamane waren, bei den Pferden zurückgeblieben. Sie schlugen es auch Merryone vor, doch das Mädchen wollte nicht von der Seite der Zwillinge weichen.
Unmerklich erst, aber mit jedem Schritt, wurde der Griff der Magie stärker.
Thonensen und Calutt hatten ihren Gefährten geraten, sich mit den Gedanken an etwas zu klammern, wenn sie spürbar in den Bann der Magie gerieten. Je stärker der Wille war, desto schwächer würde die Magie sein. Sie wußten ja nicht, was sie erwartete; Visionen vielleicht, Alpträume, Verlockungen; der Verlust des eigenen Willens. Die Priester der Dunkelmächte hatten viel gelernt aus den teuflischen Schriften des EMPIR NILLUMEN, um das Leben in Bann zu schlagen. Es gab Magie, gegen die der Geist machtlos war, aber es gab auch solche, vor der der Verstand sich verschließen mochte. Nottr wußte es. In Gianton hatten sie es versucht. Sie hatten versucht, Mythor aus seinen Erinnerungen herauszureißen. Aber er hatte widerstanden. Vielleicht war es das, was sie hier wollten: es erneut versuchen. Im Kerker in Gianton war Mythor aus seinen Erinnerungen beinah greifbar vor ihm gestanden. War ihre Magie so groß, daß sie ihn wirklich aus seinen Erinnerungen zum Leben erwecken konnten?
Einen zweiten Mythor?
Der alle Pläne des anderen durchkreuzte, ihn
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