Mythor - 117 - Herrscher im Unsichtbaren
wurden, sich gleichsam von ihrem Körper zu lösen begannen. Eine wohlige Müdigkeit strömte warm durch den Körper der betagten Amazone, sie hatte das Gefühl, langsam in ein warmes Bad zu gleiten, sich von sanften Wellen umschmeicheln zu lassen.
Die Gedanken wurden matter, schienen dann gänzlich zu verschwinden. Nur das warme Strömen im ganzen Leib war zu spüren, eine wohlige Erschlaffung aller Muskeln.
Geraume Zeit verharrte Scida so. Sie wußte selbst nicht, wie lange. Die Zeit war unwichtig geworden – außer dem angenehmen Gefühl der Entspannung gab es nichts Wichtiges.
Jetzt einfach einschlafen, dachte Scida, und dann nie mehr erwachen. Wenn dieser Tod auch nicht so rühmlich und ehrenvoll war wie der auf dem Schlachtfeld, so war er doch angenehm, frei von Ängsten und Schrecken.
Scida atmete tief ein, dann wieder aus, streckte die Glieder.
Noch war die Zeit dafür nicht gekommen, es gab noch andere Dinge zu erledigen.
Scida setzte ihren Marsch durch das Hermexenland fort. Sie entdeckte nach einiger Zeit eine Gruppe von Amazonen, die still auf dem Boden saßen, die Beine untergeschlagen, und meditierten. Eine altersgraue Hexe stand in der Nähe. Sie sah Scida kommen und ging ihr entgegen.
»Störe sie nicht«, bat sie mit sanfter Stimme. »Was kann ich für dich tun?«
»Woher kommst du?« fragte Scida zurück.
Die Hexe lächelte.
»Frage nicht, woher ich komme. Wichtig ist nur, wo ich bin – hier!«
»Was ist dies für ein Ort?« fragte Scida.
»Wenn du es nicht sehen kannst, vermag ich es nicht zu erklären«, antwortete die Hexe. »Was helfen Erklärungen, wenn die Erfahrung fehlt – du kannst es selbst feststellen, wo du dich befindest.«
»In einer Hermexe«, stellte Scida fest.
Der Gedanke war ungeheuer verlockend – den Ballast der Vergangenheit abstreifen, nicht mehr sorgenvoll oder hoffnungsschwer an die Zukunft denken, sich ganz dem Augenblick zu überlassen. Scida war noch nicht dazu bereit.
»Wo bist du einmal zu Hause gewesen?« fragte Scida.
»Liegt dir an der Antwort? Dann will ich sie geben – meine Heimat ist Walangei gewesen.«
Scida schloß die Augen. Das vertraute Bild stieg in ihrem Inneren auf. Vanga.
»Was fühlst du?« fragte die Hexe sanft.
Ohne nachzudenken, antwortete Scida.
»Heimweh. Sehnsucht nach Vanga.«
Sie öffnete wieder die Augen. Das Bild verschwamm.
»Kannst du mich nach Vanga führen, wenn ich dich darum bitte?«
»Das kann ich. Willst du?«
Die freundliche Frage stürzte Scida in tiefe Zwiespälte.
Die Verlockung war unerhört groß. Noch einmal Vanga zu sehen, Abschied zu nehmen von den Gefährtinnen, von der Zaubermutter – und dann Zuflucht suchen und finden in dieser Hermexe der Stille und Ruhe.
Auf der anderen Seite die Freunde – sie im Stich lassen?
Die Hexe sah Scida in die Augen und lächelte.
»Setz dich – und denk darüber nach. Du wirst die richtige Antwort schon finden. Und wenn du mich brauchst – ich bin dort drüben.«
Scida nickte nur.
*
Fronja betrachtete die Szenerie mit leiser Verbitterung. Sie wußte, daß sie in einer Falle saß, daß sie entsetzlich würde aufpassen müssen, um keinen Fehler zu begehen.
Hätte sie nicht schon früher gemerkt, wem sie da in die Hände gefallen war, so wäre ihr das spätestens in der Nacht klargeworden, als sich ihr jener Flegel genähert hatte, der sich erdreistete, sich Mythor zu nennen. Fronja hatte ihn nie zuvor gesehen, und sie hatte ihn mit einer kräftigen Ohrfeige verscheucht.
Der Widerstand schien den dreisten Burschen nur erheitert zu haben – lachend hatte er sich entfernt. Die heimtückische Höflichkeit, mit der er sich am nächsten Morgen zu nähern versucht hatte, war von Fronja mit einer neuerlichen Ohrfeige beantwortet worden.
Jetzt fragte sie sich aber, ob sie nicht einem Trugbild aufgesessen war. Der falsche Mythor war so offensichtlich von dem Schlag überrascht worden, hatte so ahnungslos dreingeblickt, daß Fronja leise Zweifel gekommen waren.
»Dies wird der schönste Tag meines Lebens sein«, verkündete Orphal in ihrer Nähe, laut genug, daß jeder es hören konnte. »Ich werde die Schönste aller Lande zum Weibe nehmen.«
Es bedurfte nicht der Eitelkeit, um Fronja klarzumachen, daß sie damit gemeint war. Sie sah Orphal verweisend an, aber der lachte nur.
»Ich werde dir den stolzen Sinn schon beugen«, versicherte Orphal. »Kein Weib hat mir je widerstanden, auch du wirst keine Ausnahme machen.«
»Pah«, sagte Fronja nur.
Im Augenblick
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