Mythor - 130 - Das Auge des Kriegers
beiden Boote abgelegt. Am Strand standen wenigstens drei Dutzend der eisengerüsteten Krieger und starrten auf die unerreichbaren Boote. Einige wagten sich ins Wasser, doch sie verloren den Boden unter den Füßen, und das schwere Rüstzeug zog sie in die Tiefe.
Die Gefährten machten sich an den Abstieg. An einer Quelle füllten sie ihre Wasserbeutel auf. Nottr paßte sich immer besser an. Fand er es am Anfang noch unerträglich, daß sich sein Blickfeld nur veränderte, wenn Dilvoog die Augen bewegte, so begann er Gefallen daran zu finden, daß er sich von allem zurückziehen konnte, wenn er wollte – von der Anstrengung beispielsweise. Doch wenn er große Anstrengung unternahm, war es fast, als könnte er mit Dilvoog verschmelzen, so natürlich fand er Dilvoogs Bewegungen. Da gab es Augenblicke, da spürte er Dilvoogs Anwesenheit gar nicht mehr. Das geschah, je mehr seine Unsicherheit und instinktive Furcht schwanden. Nur manchmal, da stieß er an eine kalte Dunkelheit in den Korridoren des Verstandes, die ihn daran erinnerte, daß Dilvoog aus der Finsternis hervorgegangen war. Davor zog er sich hastig zurück.
Die Sonne brach zwischen den Wolken hervor. Das Meer gleißte. Das Treibeis funkelte, und jenseits, weit im Osten, konnten sie die Küste von Eislanden sehen – ein weißer Strich zwischen Himmel und Meer.
Der Winter schien über die Insel keine Macht zu besitzen. Ob es vom warmen Wasser der Strömung herrührte, oder von Horcans Macht über die Stürme, oder von der finsteren Magie, die über dem Berg lag, wußten auch Dilvoog und Thonensen nicht zu sagen. Nur Nottr zweifelte nicht daran, daß Horcan über ihnen wachte. Er verlangte immer wieder, daß Dilvoog Seelenwind berührte, damit er fühlen konnte, ob die Klinge »wach« war.
Sie war wach. Das Schwert bebte in der Faust, und Dilvoog fand es schwer, den Griff wieder loszulassen. Er fühlte eine seltsame Verwandtschaft mit den Geistern der Klinge. Eine große Macht hielt sie zusammen – so unstofflich wie die Finsternis. Horcan hätte ein Dämon sein können, denn er war eine Kraft, die um sich selbst wußte. Wie auch Dilvoog eine Kraft war, die wußte, daß es sie gab, und die solcherart imstande war, ihre Umwelt zu beeinflussen; die imstande war, den Stoff des Lebens zu beherrschen und zu formen und vielleicht selbst zu Stoff zu werden.
Aber Horcan war nicht aus der dunklen Urkraft aus den Räumen zwischen den Sternen. Er war aus Lebenskräften entstanden, aus Stoff, der starb, aus Gefühlen, die der Tod zerschnitt – aus mächtigen Gefühlen wie Haß, Schmerz, Rachgier, Wut, Grauen, Lebenswillen, Liebe.
Horcan war nicht ein ferner Geist, der die hungrigen Seelen in diesem Schwert lenkte, die Seelen waren ein Teil von ihm. Sie waren Horcan. Sie haßten die Finsternis. Viele hatten durch sie gelitten. Jede einzelne Seele in diesem Schwert suchte Rache an der Finsternis. Sie waren die beste Waffe für einen, der gegen die Finsternis ins Feld zog – für einen wie Nottr.
Das alles lernte Dilvoog durch die Berührung des Schwertes, indem er einen Teil seiner selbst mit aller Vorsicht eindringen ließ. Er fürchtete diese Seelen, denn sie waren mächtiger als er, und er war im Grunde aus jenen Kräften entstanden, die sie haßten und bekämpften. Doch ihre Wut war nicht blind. Sie vermochten Freund und Feind zu unterscheiden.
Ein anderes Instrument (ein Ausdruck, den die Alptraumritter gebrauchten), das ihn faszinierte, war der Stab mit dem Einhornkopf. Er spürte keinerlei Kräfte, die davon ausgingen. Dennoch behauptete der Sterndeuter, Hinweise auf die Gegenwart der Finsternis zu erhalten. Es war wie ein geistiger Warnruf, der aus dem tiefsten Schlaf aufrüttelte.
Während sie eine kurze Rast einlegten, bat Dilvoog den Sterndeuter um den Stab.
Schon die erste Berührung öffnete den Geist.
Spürst du es auch? fragte er Nottr.
Daß überall um uns Gefahr ist, erwiderte Nottr.
Ist das alles?
Nein… Nottr zögerte. Der Stab weist einen Weg…
Einen Weg?
Einen sicheren Weg in die Bastion.
Welche Bastion?
Es ist der Weg der Alptraumritter.
Kannst du ihn sehen?
Nein, aber er ist gerade vor uns. Er führt in die Erde.
Wie sagt dir der Stab das?
Nottr dachte darüber nach. Aber er wußte es nicht. Es war einfach in seinen Gedanken. Weißt du es nicht?
Nein. Ich sehe diesen Weg nicht.
Vielleicht vermögen ihn nur Alptraumritter zu erkennen.
Ja, das mag sein. Aber siehst du nicht die schwarzen Nebel der Finsternis zwischen den
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