Mythor - 131 - Der goldene Strom
erforderlich ist, können wir ihm immer noch Beine machen.«
Dori schlich auf leisen Sohlen zu einem Fenster der Wächterstube, glitt ins Freie und kletterte an einer Ranke in die Tiefe.
Boozams Boje ankerte nicht an der Hauptschleuse, sondern nahe der kleineren Schleuse, die den Nebenarm des Stromes absicherte. Die Schleusen dienten vor allem dazu, zu verhindern, daß das Gold des Stromes nicht in die Bereiche jenseits der Schattenzone abfloß. Sie hatten aber auch den Zweck, Eindringlinge abzuhalten. Und Boozam war der Schleusenwärter, der darüber zu wachen hatte, daß kein Unbefugter die Schleusen benutzte.
Dori schnappte sich das Floß, das Boozam vor kurzem einem Schmuggler abgenommen hatte und stakte es zu der Nebenschleuse. Am Wall der Schattenzone angekommen, vertäute sie das federleichte Gefährt unter einem Ufergestrüpp und ging zu Fuß weiter.
Sie hatte ihren Gefährtinnen nichts davon erzählt, daß sie das Schiff mit dem gehörnten Kopf weiter westlich an der Barriere selbst schon beobachtet hatte; sie hatte keinen Grund gesehen, diese Beobachtung in ihre Lügengeschichte einzubauen.
Es konnte aber kein Irrtum bestehen, daß Cogi dasselbe Gefährt gesehen hatte.
Dori versuchte, durch die Schleuse nach draußen zu sehen. Aber der Goldstaub war im Augenblick so dicht, daß ihr Blick nicht weit reichte. Darum glitt sie in eines der Rinnsale, die durch die Barriere durchgingen und auf der anderen Seite versickerten. Eine Kaezin war gelenkig genug, sich so dünn zu machen, daß sie durch die engste Öffnung schlüpfen konnte.
Es kostete Dori Mühe, sich durch einige Engpässe zu zwängen. Aber schließlich schaffte sie es und gelangte auf die andere Seite.
Sie war schon öfters auf der anderen Seite gewesen und kannte sich darum hier ganz gut aus.
Sie brauchte nicht lange nach dem fremden Schiff zu suchen. Es trieb ganz in der Nähe vor der Hauptschleuse, obwohl die Barriere der Schattenzone von dieser Seite aus unpassierbar erschien. Daraus schloß Dori, daß die Passagiere über die Schleuse und den Goldenen Strom Bescheid wußten.
Das machte sie noch neugieriger. Sie kletterte behende über die Riffe, die sich hier draußen entlang der Barriere türmten, und kam so ganz nahe an das Gefährt heran. Aus der Nähe war es noch eindrucksvoller. Der gehörnte Bug über ihr wirkte wie ein Rammbock. Der Schiffsbauch erinnerte sie an versteinerte Schwämme. Darüber türmten sich Wehren, hinter denen der schwere Arm eines Wurfbockes zu sehen war.
Vor dem gewaltigen Horn des Hecks entdeckte Dori ein großes Rad, das hin und her schwang und das aus einem Becken, in das es zur Hälfte eingebettet war, irgendeine Flüssigkeit schöpfte, die dann wieder zurückfloß.
Das Gefährt machte einen verwaisten Eindruck; auf der gesamten Länge von annähernd zweihundert Kaezinnenschritten war kein Lebewesen zu entdecken.
Dori glaubte schon, daß dieses Schiff von seinen Passagieren verlassen worden war. Aber dann tauchte in Bugnähe ein bärtiger Krieger auf, und dann noch ein zweiter. Es waren aufrecht gehende Männer mit stolz erhobenen Köpfen. Sie sahen einander zum Verwechseln ähnlich, und sie waren beide Lanzenträger. Kaum daß sie aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder hinter einer Mauer.
Doris Neugierde war nun so übermächtig, daß nichts sie daran hindern konnte, diesem Schiff einen Besuch abzustatten.
Von der Seite des Schiffes hingen Taue mit Segeln und Netzen daran. Wenn sie genügend Anlauf nahm, konnte sie ein solches Netz mühelos erreichen.
Dori lief ein kurzes Stück auf allen vieren und stieß sich dann mit aller Gewalt vom Riff ab. Noch während des Fluges erkannte sie jedoch, daß sie die Sache zu leicht genommen hatte und zu kurz gesprungen war. Sie streckte sich zu voller Länge und bekam den Netzrand gerade noch mit den Krallen zu fassen. Sie zog sich hoch, kletterte aufs Netz und über ein Tau an die wie gewachsen erscheinende Bordwand. Im Schutz einer Wehr lief sie dann in Richtung Heck. Noch vor Erreichen des pendelnden Riesenrads setzte sie mit einem gewaltigen Sprung über die Wehr hinweg und landete auf der anderen Seite in einem halb verdorrten Dornenbusch.
Sie unterdrückte einen Schmerzenslaut, als sie spürte, wie sich die Dornen durch das Fell in ihre Haut bohrten, und hatte danach zu tun, die Dornen wieder zu entfernen.
Links von ihr drehte sich das riesige Rad in der Wanne mit Flüssigkeit. Vor ihr erhoben sich stufenförmig ineinander verschachtelte Gebäude zu
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