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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doug Sounders
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mitleidlosen brutalen Juden sein muss«, die Whitechapel in ein berüchtigtes Viertel verwandelt hatten. 3
    Der Evening Standard brachte eine viel gelesene Artikelserie über die Bedrohung, die von den jüdischen Einwande rerenklaven Whitechapel und Spitalfields ausging. Einer dieser Beiträge verkündete unter der Überschrift »Problem of the Alien« (»Ausländerproblem«), dass die Stadt »von Unerwünschten überrannt« werde, die »große ausländische Gebiete« geschaffen hätten. Andere Texte beschrieben diese gefährlichen, kriminellen Viertel, die von »den dunkelsten und bedrohlichsten Gassen durchzogen werden«, durch die »niemand außer den Bewohnern nach Einbruch der Dunkelheit freiwillig gehen würde«, so groß war das Risiko, »angegriffen oder belästigt« zu werden. Es ging die Rede von jüdischen Anarchistenbanden, die Cafés betreiben würden, um »arme Fliegen in die Falle zu locken«, also den Opfern ihr Geld abzunehmen oder sie zu radikalisieren. Die Juden wurden von vielen Menschen mit politischem Extremismus und Gewalt in Verbindung gebracht. Die russische Revolution und die bolschewistische Bewegung wurden in den Medien vieler europäischer Länder als von Juden gelenkt dargestellt – in gewisser Hinsicht war dies in jener Zeit das Gegenstück zum islamistischen Extremismus heute. Der weitverbreitete Begriff »jüdisch-bolschewistisch« war damals das Äquivalent zum heutigen »Islamfaschismus«. Kommunistischer und anarchistischer Extremismus wurden in Westeuropa damals oft als ethnisches und nicht als politisches Phänomen diskutiert. Der britische Historiker Tony Kushner schrieb hierzu: »Die führenden Geister des althergebrachten Konservativismus – die Times, die Morning Post und der Spectator – waren mit Anschuldigungen schnell bei der Hand, die Juden seien die treibende Kraft hinter dem Bolschewismus und eine generell bösartige Weltmacht. […] Sie sahen die Juden in erster Linie als Ausländer, deren Macht es zu zügeln galt.« 4
    Ein ähnliches Phänomen war in noch größerem Umfang in Nordamerika zu beobachten. Millionen von Juden emigrierten in den Jahren von 1880 bis 1914 in die Vereinigten Staaten. Bis zum Jahr 1916 hatte sich ihre Zahl dort versechzehnfacht, auf 3,9 Millionen Menschen oder 3,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die vor dieser Zeit ins Land gekommene, hauptsächlich aus deutschen Juden bestehende Gemeinde war klein und relativ wohlhabend gewesen. Im Ge gensatz dazu, so beschreibt es der Historiker David A. Gerber, »waren die Osteuropäer bei ihrer Ankunft ärmer; sie blieben in den Einwandererslums der großen Städte des Nordens eher zusammen; sie hatten stärker mit sozialen Problemen wie Armut, Verlassenheit und Arbeitslosigkeit zu kämpfen; und sie waren in ihren Gewohnheiten häufiger vormodern und dachten in religiösen Fragen eher traditionell.« Es gab zwar keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Juden stärker zu kriminellem Verhalten neigten als im Land geborene Amerikaner, aber viele Menschen glaubten, die jüdischen Wohnviertel würden von gewalttätigen Gangsterbanden und politischen Extremisten beherrscht. Das größte dieser Viertel, die Lower East Side von Manhattan, blieb ein dicht besiedeltes, hochgradig übervölkertes Viertel, das jahrzehntelang als gefährlich galt. Die Polizei pflegte ein besonderes Vorurteil gegen die Juden, die sie als geborene Kriminelle ansah.
    Der Historiker David Reimers berichtet: »Der New Yorker Polizeichef Theodore A. Bingham schrieb im Jahr 1908 einen Beitrag für die North American Review . Er nahm sich die Juden vor und behauptete, obwohl sie nur ein Viertel der Einwohner der Stadt stellen würden, seien ›die Hälfte der Kriminellen‹ Juden. Der Gastautor schrieb: ›Sie sind Einbrecher, Brandstifter, Taschendiebe und Straßenräuber. […] Aber der Taschendiebstahl ist der Bereich, zu dem sie fast von Natur aus neigen, obwohl sie auf allen Gebieten des Verbrechens zu Hause sind.‹« 5
    Hochschullehrer und Regierungsbeamte behaupteten außerdem immer wieder, jüdische Einwanderer würden die durchschnittliche Intelligenz der Bevölkerung nach unten drücken. Der 41 Bände umfassende Bericht der Dillingham-Kommission kam 1911 zu dem Ergebnis, dass »63 Prozent der Schulkinder süditalienischer Herkunft ›zurückgeblieben‹ wa ren – das heißt: im Vergleich zu ihren Mitschülern einen Rückstand von zwei oder mehr Jahren zur altersentsprechenden Norm aufwiesen –, was nur noch von den Kindern

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