Mythos Ueberfremdung
religiösen, kulturellen und medialen Bestandteilen –, die Europa durch mächtige Re gierungslobbys übergestülpt wird. […] Daraus entwickelt sich dann eine neue eurabische Kultur mit einem eigenen Dogma und eigenen Predigern, Axiomen und Vorschriften.« Dieser politische Dialog, sagt sie, sei einer »der wichtigsten Schritte eines Umwandlungsprozesses, der in Europa bereits begonnen hat, der Geburt einer dhimmi -Zivilisation: Eurabien.« Als Beleg für diese Behauptung hat sie nicht mehr zu bieten als eine dünne Suppe von Annahmen, die sie mit unauffälligen Zitaten aus Komiteeberichten verknüpft. Mehr war nicht vonnöten, um ihr bei einer ganzen Generation von Autoren, Aktivisten und Politikern große Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
Littman hatte sich ihren Ruf mit den zuvor veröffentlichten »Bat Ye’or«-Büchern erarbeitet, einer Serie von Amateur-Geschichtswerken über den Nahen Osten, die harte Schilderungen der Unterdrückung und Erniedrigung bot, die Christen und Juden vom 7. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts unter islamischen Regimen zu erleiden hatten. Littman selbst stammte aus einer Familie ägyptischer Juden, die in den 1950er-Jahren nach Europa geflohen waren. Diese Erfahrung muss sie dazu inspiriert haben, das Wort dhimmi, einen neutralen arabischen Begriff für religiöse Minderheiten, deren Präsenz in islamischen Staaten toleriert wurde (wenn auch zuweilen unter groben Auflagen), zur dhimmitude weiterzuentwickeln, ihrem düster-bedrohlichen Ausdruck »für unterworfene, nicht muslimische Einzelpersonen oder Völker, [die] die restriktive und erniedrigende Unterordnung unter eine aufsteigende islamische Macht akzeptieren, um der Versklavung oder dem Tod zu entgehen« – in der gesellschaftlichen Praxis ist damit auch jeder Mensch gemeint, der muslimische Einwanderer toleriert oder ihre Religion anerkennt. Das Wort wird heute von antimuslimischen Bloggern und ihren Anhängern immer wieder benutzt, um Kritiker oder liberal gesinnte Menschen des Ausverkaufs im Geist Eurabiens zu bezichtigen. So populär diese Vorstellung online auch sein mag, fehlt es ihr dennoch an Glaubwürdigkeit. Selbst Bernard Lewis, der auf den Nahen Osten spezialisierte Historiker, der sich sehr kritisch über den zeitgenössischen Islam geäußert hat, verwarf die dhimmitude als eine historische »Legende«, vergleichbar der spiegelbildlich zu sehenden islamischen Legende von einem »goldenen Zeitalter«, in dem Harmonie zwischen den vielen Glaubensrichtungen herrsche. Lewis schrieb: »Beide Legenden enthalten, wie so viele andere Mythen, bedeutsame und wahre Elemente, und die historische Wahrheit befindet sich am üblichen Ort, irgendwo in der Mitte zwischen den Extremen.« 5
Littman ist allerdings keine Historikerin, sondern eine radikale Aktivistin. Das wurde Mitte der 1990er-Jahre überaus deutlich, als sie sich erstmals öffentliches Ansehen erwarb, indem sie ihre dhimmitude -Argumente zur Unterstützung der serbischen Sache in Bosnien einsetzte. In einer Reihe von Interviews und Vorträgen vertrat sie den Gedanken, von der muslimischen Bevölkerungsmehrheit, die damals von serbischen Milizen angegriffen wurde, gehe bei diesem Krieg die wahre Bedrohung aus, während ihre Angreifer in Wirklichkeit »serbische Widerstandsbewegungen« seien, die sich gegen »die allmähliche muslimische Durchdringung Europas« 6 richteten. Im Jahr 1995 hielt sie einen Vortrag vor der Lord-Byron-Stiftung für Balkanstudien, einer von Srjda Trifković beherrschten Gruppe, dem Berater und Sprecher von Radovan Karadžić. Dieser bosnisch-serbische Kriegsherr hatte wenige Monate vor diesem Vortrag das Massaker von Srebrenica organisiert. Littman unterstützte in ihrer Rede die von radikalen Serben vorgebrachten Argumente. Nach diesen Vorstellungen betrieben die Muslime in Bosnien und im Kosovo eine jahrhundertealte Verschwörung zur Übernahme Europas. Littman sagte: »Plötzlich bot sich in der gegenwärtigen Krise in Jugoslawien eine neue Chance für die Wiederbelebung [der Verschwörung] in einem multireligiösen muslimisch-bosnischen Staat. […] Abermals ein muslimischer Staat im Herzen Europas. Und wir kennen den Rest, die Leiden, das Elend, die Schrecken des Krieges.«
Dieser unappetitliche Hintergrund hat Dutzende von Autoren und Journalisten nicht daran gehindert, Littmans nebulöse Verschwörungstheorie zu übernehmen. Oriana Fallaci (1929–2006) nahm in der letzten Episode ihrer journalistischen Laufbahn das Argument von
Weitere Kostenlose Bücher