Mythos
ein Gang“, rief sie zu der Journalistin hinauf. „Gerade groß genug für einen Menschen, wenn er sich bückt. Aber ich glaube, hier war schon lange niemand mehr. Da liegt eine dicke Staubschicht auf dem Boden. Und …“
Sie schrie erschrocken auf. „Und einige ziemlich große Spinnen versperren den Eingang“, sagte sie dann.
Entschlossen setzte sich MacLoughlin auf den Rand der Grube und rutschte zu Tilly hinunter.
„Was machen Sie denn?“, fragte die Deutsche.
„Na, wonach sieht es denn aus?“, sagte die Journalistin und schob sich in den Tunnel hinein. „Ich will sehen, wohin dieser Gang führt. Zumindest ein Stück weit. Aus dieser Richtung erwartet uns doch sicher niemand.“
Die Deutsche schüttelte den Kopf. „Ich will hier weg“, rief sie.
MacLoughlin griff nach ihrem Arm. „Ich kann nicht einfach von hier verschwinden, ohne zu wissen, was vor sich geht. Das geht einfach nicht.“
Sie schaute Tilly in die Augen. „Es tut mir leid. Sie können ja hier warten, bis ich zurückkomme.“
Das kann ich nicht, dachte Tilly. Der Gedanke, MacLoughlin würde wieder verschwinden, war schlimmer als die Angst davor, ein Stück in den Gang zu schleichen. Sie nickte MacLoughlin mit zusammengebissenen Zähnen zu.
Die Irin hatte bereits ihre Taschenlampe in der Hand. Tilly folgte ihr. Gemeinsam stiegen sie in dem sanft abfallenden Tunnel in die Erde hinab.
Der Tunnel war schmal und niedrig. Das Licht von MacLoughlins Lampe fiel immer wieder auf Wurzeln, die sich durch die Steinplatten über ihren Köpfen und zu ihren Seiten gekämpft hatten. Einige reichten bis zum Boden, wo sie sich wieder eingegraben hatten. An einer Stelle bestand die Decke fast nur noch aus miteinander verschlungenen Holzfingern. Sie mussten über einen Berg von Schutt kriechen. Dahinter fiel der Gang sacht ab, bis er zu tief war für die Pflanzen. Es wurde feucht. Sie traten in die ersten Pfützen.
Der Gang führte in einen Raum, in dem das Wasser einige Zentimeter hoch stand. Ein feiner Lichtstrahl fiel durch ein Loch in der Decke auf ein Becken, das Tilly an eine Badewanne erinnerte. Auf der gegenüberliegenden Seite bildete ein brei Tiete einter Vorsprung eine Art Theke, am Boden darunter führte eine Rinne in eine Vertiefung. Die Seitenwände erweiterten sich zu breiteren Gängen. Die zwei Frauen platschten durch das fußhohe Wasser.
„Ich wüsste zu gern, wozu dieser Raum gedient hat“, dachte MacLoughlin laut nach.
Tilly rümpfte die Nase. Ihr war das herzlich egal.
Sie wandten sich nach links. Nach einigen leicht ansteigenden Metern stießen sie auf eine weitere Höhle, erheblich größer und höher als die vorherige. Und trocken.
Im Licht der Taschenlampe schälte sich der Arm einer monströsen Gestalt aus der Finsternis. Die beiden Frauen wichen erschrocken zurück. Dann erkannten sie, dass es sich um eine Statue handelte.
Die Figur in der Mitte des Raumes war etwa drei Meter groß. Tilly konnte deutlich erkennen, dass sie nach dem Vorbild der Basilisken geformt war, auch wenn Kopf und Glieder relativ plump geformt waren. Selbst die Struktur des Gefieders war grob in die Steine geritzt. Der künstliche Basilisk hatte den rechten Arm ausgestreckt, die Hand umschloss eine weitere Figur, die einen Menschen darzustellen schien. Über dem rechten Fuß lag eine dritte menschenähnliche Gestalt, aufgespießt auf die gigantische Kralle der inneren Zehe. Zwei weitere Figuren konnte Tilly identifizieren. Ein Jaguar duckte sich unter der linken Hand des Basilisken, und ein Kaiman wurde vom linken Fuß zu Boden gepresst. Große steinerne Becken umringten die Figurengruppe. Säulen aus dicken, aufeinandergestapelten Steinklötzen stützten die Decke, die aus großen Steinplatten bestand. Die Fugen zwischen den einzelnen Blöcken waren mit kleineren Steinen gefüllt. In zwei Metern Höhe rückten die Wände ein Stück nach hinten und ließen Raum für einen Vorsprung.
Ein intensives Gefühl der Bedrohung ging von der riesigen Figur aus. Tilly schauderte. Fast ehrfürchtig verharrten die beiden Frauen eine Weile vor der Statue, während die Irin nach und nach die einzelnen Details ausleuchtete.
Dann brach Tilly das Schweigen. „Mensch, Vogel, Jaguar, Kaiman. Ich glaube, die einzelnen Bestandteile, aus denen diese Statue zusammengesetzt ist, findet man in Tempelfiguren überall in Peru. Aber sie sind meist zu Chimären zusammengesetzt und nicht einzeln dargestellt, so wie hier. Und statt des Basilisken wurde der Kondor
Weitere Kostenlose Bücher