Na endlich Liebling
geistreich, vernünftig, angesehen, eine begabte Studentin. Und hier ein sehr junges Mädchen mit zerzaustem Haar, ohne Make-up. Man sollte nicht das Gefühl für die eigenen Wertmaßstäbe verlieren, sagte er sich. Um für seine Unvernunft zu büßen, nahm er sich vor, die Rolle eines selbstlosen älteren Bruders zu spielen.
In dieser noblen Anwandlung traf ihn Diana, die Briefe zur Post bringen wollte. Leider vertraute er ihr in seiner Begeisterung seine Pläne an. Sie war natürlich entzückt.
»Sally ist goldig, aber sie ist einfach zu brav. Sie hat ein enormes Pflichtbewußtsein.«
»Ihr Vater ist schrecklich egoistisch. Können Sie ihm nicht beibringen, daß sich seine Tochter für ihn aufopfert?«
»Kaum. Den kann nichts überzeugen, höchstens eine Atombombe, und die würde ihn nur für den Rest seines Lebens ins Bett schicken.«
»Diesen Kennedy scheint sie gern zu mögen.« Das klang ein wenig abfällig. Diana zog die Brauen hoch, aber sie lächelte nicht.
»Natürlich mag sie ihn gern, sehr gern sogar. Und er ist mächtig in sie verliebt; gerade darum ist er manchmal unausstehlich. Es ist ein problematisches Verhältnis. Mischen Sie sich da lieber nicht ein, Bill!«
Sie sagte das so nebenbei; sie wollte ihn warnen, aber Justin ignorierte das. Er sich da einmischen? Lächerlich!
»Wenn sie ihn heiraten will, sollte sie ihrem Vater ein Ultimatum stellen.«
»Könnten Sie sich wirklich denken, daß Sally ihrem Liebling, ihrem Vater, ein Ultimatum stellt? Nein, nein, wir müssen praktisch denken... Schade, daß Mr. Ross nicht wieder heiratet!«
Er war überrascht. Aus der Sicht seiner siebenundzwanzig Jahre waren die fünfzig Lenze des Herrn Ross ein gewaltiger Hinderungsgrund.
»Dazu ist er doch viel zu alt! Aber nein, vielleicht doch nicht. Er müßte eine Frau mittleren Alters finden... aber wo?«
Dianas Augen schienen vor Vergnügen zu tanzen. Sie hatte, was John Parsons »einen ihrer gefährlichen Einfälle« nannte.
»Wie wär’s mit Mrs. Neal? Die ist doch reizend und sieht immer noch sehr gut aus; das tut er übrigens auch. Sie würden famos zueinander passen, und eine Hochzeit wäre ein Hauptspaß. Eine Doppelhochzeit: Vater und Tochter zugleich vor dem Altar. So was gibt’s ganz selten!«
»Die Schwierigkeit ist nur, wie wir sie zusammenbringen«, grübelte Justin. »Sally behauptet, ihr Vater sei kaum von daheim fortzubringen, und Mrs. Neal scheint sich nicht einen einzigen Tag freizunehmen.« — »Da werden wir schon einen Weg finden. Um Weihnachten herum hat sie nicht soviel zu tun. An den Feiertagen fahren die Bauarbeiter heim. Wir arrangieren ein paar Partys, da kann er ihr den Hof machen.«
Bei dieser Vorstellung mußte auch Justin lachen, meinte aber gleich: »Ich kann mir den alten Knaben in lustiger Gesellschaft nicht gut vorstellen. Er ist allzusehr mit seinen Büchern und seiner Musik beschäftigt. Nur mit solchen Themen kann man ihn fesseln.«
»Dann probieren wir’s auf diese Tour. Mit einer kulturellen Veranstaltung, wie Sie das in Ihren Kreisen nennen würden, Bill.« Sie lachte und rief dann plötzlich: »Herrje, ich muß ja fort, sonst komm’ ich zu spät in die Schule!«
»Warum verkauft Mr. Ross eigentlich nicht einfach die Farm?« fragte Justin, als er zu Percy in den Laden zurückging.
»Warum sollte er...? Er hat’s doch schön mit seinen Büchern und seiner Musik, und niemand ärgert ihn — wenigstens bis jetzt, wo du daherkommst und mit der leichtsinnigen Diana irgendwas ausbrütest. Es gibt doch keinen Unsinn, den die nicht mitmacht.«
»Aber das ist eine hochmoralische Angelegenheit! Wir haben beschlossen, ihn mit Mrs. Neal zu verheiraten.«
Jetzt verschlug es Percy die Sprache. Er starrte Justin an, wandte sich ab und brummte ärgerlich: »Du vertust nur deine Zeit. Darauf kann nur der allergrößte Esel verfallen.«
»Weshalb? Sie ist doch erst um die Vierzig, und er muß etwa fünfzig sein.«
»Vom Alter brauchen wir nicht zu reden. Es liegt nicht am Alter, es liegt... na, glaub mir, da ist nichts zu machen.«
»Wir könnten es doch versuchen. Sie würde ihn ein bißchen aufmuntern, und er könnte sich im Hotel nützlich machen, kleine Handreichungen tun und mit den Beamten und Inspektoren plaudern, die dort absteigen.«
Aber Percy war gereizt. Zum erstenmal sah Justin ihn richtig böse:
»Über solche Sachen sollte man nicht so oberflächlich daherreden, Bill. Diana ist immer für jeden Blödsinn zu haben. Es wird gut sein, wenn John auf
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