Nach all den Jahrmilliarden
versuchte, die blöde Voreingenommenheit zu rechtfertigen, die der Homo sapiens so schätzt.
Es war das Auftauchen Jans, das mir aus der Klemme half. Sie glitt zu uns in die Kabine, und ihr Gesicht zeigte den fahlen, geisterhaften Ausdruck, der oftmals zu beobachten ist bei den Leuten, die nach einigen Stunden Ruhezeit aus der Nichtskammer herauskommen: Ihre Augen blickten verträumt, und ihre Gesichtsmuskeln waren so entspannt, daß sie wie ein Schlafwandler aussah. Das kommt davon, wenn man mit zugestopften Ohren und abgedeckten Augen in einem warmen Chemikalienbad liegt. Jan schwebte wie die kopflosen Gattinnen von Heinrich VIII. herein, sah mich an, sah Kelly an, lächelte eigentümlich, sagte mit einer silberhellen, trillernden Stimme: „Entschuldigung“ und schwebte wieder hinaus. Sonderbar.
Irgendwie machte das der Diskussion über Rassendiskriminierung ein Ende. Wir versuchten nicht, sie fortzusetzen. Statt dessen begann Kelly über Inschriftsknoten zu sprechen, und nach einiger Zeit sagte ich gute Nacht und ging schlafen. Seitdem haben wir einige Abende zusammen verbracht und uns bis spät nachts unterhalten. Ich glaube, Kelly benutzt mich in gewisser Weise dazu, den linkischen Annäherungsversuchen von Leroy Chang zu entgehen, aber das stört mich nicht. Da Jan mich ganz offensichtlich ignoriert, ist es angenehm, Kelly als Gesprächspartner zu haben. Und ich habe die lohnende Entdeckung gemacht, daß ein Android in vielerlei Hinsicht eine richtige, wirkliche Person sein kann. Am Grunde von Kellys Wesen befindet sich ein Kern aus Ruhe, der von nichts durchdrungen werden kann – was für mich ein Beweis ihres künstlichen Ursprungs ist. Doch jenseits dieser Grundfeste ist sie durchaus Stimmungen unterworfen; sie hat intensive Gefühle, versteht Spaß, ist kultiviert und noch vieles andere mehr. Sie neigt ein wenig dazu, dauernd ihre Menschlichkeit unter Beweis stellen zu müssen, in einer Wenn-du-meine-Haut-ritzt-blute-ich-dann-etwa-nicht?-Art, aber das ist nicht weiter verwunderlich. Ich will nicht behaupten, ich hätte meine Vorurteile abgeschüttelt. Ich denke noch immer, daß Kelly sehr menschlich ist, aber … Und es ist dieses verdammte Aber, das nicht verschwinden will. Doch ich mache Fortschritte.
Es macht mir ein wenig. Angst, daran zu denken, daß es in ein paar hundert Jahren vielleicht zu Heiraten zwischen Menschen und Androiden kommt und Kinder gezeugt werden. Ich frage mich, warum mich diese Vorstellung so erschreckt. Weil wir von einem Spritzer Androidenblut in unser Gen-Reservoir vielleicht verändert werden? Verbessert werden? Dieser Gedanke schmerzt dort, wo meine Vorurteile ihren Ursprung haben.
Aber dann werde ich nicht mehr da sein, um es zu erleben. Das ist tröstlich. Oder?
Nach dieser unklaren Bemerkung, die jetzt zehn Tage zurückliegt, habe ich keine weiteren Aufzeichnungen gesprochen. Der November geht nun allmählich seinem Ende entgegen, und ich habe diesen Würfel nur wieder zur Hand genommen, um den Nachtrag hinzuzufügen, daß wir GGC 1145591 in fünf weiteren Tagen erreichen. Ich bezweifle, ob bis dahin etwas Wichtiges geschieht, und deshalb schließe ich den Würfel jetzt ab.
Es ist alles beim alten geblieben, in jeder Hinsicht. Wann immer ich Jan sehe, ist sie mit Saul zusammen, und sie sind ganz vertieft in die Diskussion über die selbstentwertenden französischen Briefmarken von 2115 oder was auch immer. Kelly hat vorgeschlagen, ich solle zum Gegenangriff übergehen und eine Münzsammlung anlegen. Dieser Vorschlag scheint mir kaum durchführbar. Zum Teufel auch, ich glaube, Saul ist einfach der bessere Mann. Doch ich würde zu gern wissen, warum.
Beiseite
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