Nach all diesen Jahren
nämlich zu den Frauen zählen, die eine kurze Affäre genießen und anschließend ohne Bedauern weiterziehen.
Einen kurzen Moment erlaubte er sich den Luxus, darüber nachzudenken, wie es wohl wäre, wenn er Sarah tatsächlich mitnähme. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Diesbezüglich machte er sich nichts vor: Er war einfach zu sehr von der Vergangenheit geprägt – und dementsprechend würde er sein Leben gestalten.
Von frühester Kindheit an war er widrigen Umständen ausgesetzt. Sicherheit und Geborgenheit hatte er nie kennengelernt, und das machte ihm grausam klar, dass er sich auf nichts und niemanden verlassen konnte – außer auf sich selbst. Er hätte den Moment nicht benennen können, in dem er sich gelobt hatte, nie ein Spielball des Schicksals werden zu wollen. Er würde sein Leben in die Hand nehmen, es kontrollieren – und zwar mit seiner Ausbildung und seinem Verstand. Das Leben in den verschiedenen Kinderheimen hatte ihm eine wichtige Lektion erteilt: Vertraue niemandem!
Während die anderen Kids einfach nur herumhingen oder in Selbstmitleid versanken, weil ihre Eltern nicht zu dem vereinbarten Besuchstermin erschienen, hatte Raoul sich in seine Schulbücher vertieft und gelernt, selbst im größten Chaos höchste Konzentration aufzubringen. Dank seines scharfen Verstands legte er jede Prüfung mit Auszeichnung ab. Und als er endlich volljährig und unabhängig von der Vormundschaft der Behörden war, arbeitete er noch mehr, um auf die Universität gehen zu können.
Damit aber nicht genug! Da er keine Beziehungen hatte, musste er einfach besser sein als andere. Darum erwarb er gleich zwei hochkarätige Studienabschlüsse. Und er beabsichtigte, sie gnadenlos zu seinem Vorteil einzusetzen.
In diesen Plan passte Sarah einfach nicht hinein. Er war kein Familienmensch, konnte sich nicht in der Rolle des Ernährers sehen. So sanft und unschuldig wie sie war, würde sie immer einen Beschützer brauchen. Sie ist nicht tough genug für diese Welt. Sie schafft es ja nicht einmal, meine Frage zu beantworten! Natürlich will sie eine Beziehung! Er täte ihr keinen Gefallen, wenn er ihr jetzt sagte, was sie hören wollte. Abrupt stand Raoul auf. In ihrer Nähe traute er seinem Körper – und sich selbst – nicht.
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“ Es klang barscher als beabsichtigt. Und es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte, um sie nicht tröstend in den Arm zu nehmen, als er auf ihren gesenkten Kopf blickte. „Was ist nun? Du wärst tatsächlich damit zufrieden, ab und zu eine E-Mail auszutauschen? Das ist doch Unsinn! Das Leben geht weiter. Nimm es in die Hand und hak die Sache mit uns als interessantes Abenteuer ab. Beziehung ist einfach nicht mein Ding.“
„Wie kannst du nur so grausam sein?“, flüsterte Sarah. Sie hatte sich vor ihm erniedrigt und ihn förmlich angefleht. Umsonst! Er liebte sie nicht und würde sie auch nie lieben. Im Prinzip hat er recht. Was nützt all das Jammern und Wehklagen? E-Mails und SMS würden ihren Schmerz nur endlos verlängern. Ein harter Schnitt war das einzig Richtige.
„Ich bin nicht grausam. Ich möchte dir nur keine falschen Hoffnungen machen. Du bist noch jung, hast Träume …“
„Du bist auch nicht gerade ein Methusalem, Raoul!“
„Was die Lebenserfahrung betrifft, bin ich Jahrzehnte älter. Ich bin einfach nicht der Richtige für dich. Du hast etwas Besseres verdient.“
„Das sagen Feiglinge immer in einer brenzligen Situation!“ Sarah hatte das irgendwo gelesen, und anscheinend stimmte es.
„In diesem Falle ist es aber die Wahrheit. Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Aber dieser Jemand bin nicht ich.“ Er sah sie an und hoffte, dass er nie mehr in seinem Leben in eine derartige Situation kommen würde. Bleib allein, halte dich von allen fern! Das war seine Devise. Und von ihr würde er nicht mehr abweichen. „Sarah, ich will einfach vom Leben etwas anderes als du.“
Am liebsten hätte sie das abgestritten, aber ehrlicherweise musste sie ihm recht geben. Sie wollte das Gesamtpaket – inklusive Prinz und Happy End. Und er durchschaute sie ganz genau.
„Ich bin einfach kein Familienmensch.“
Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft hob Sarah den Kopf. „In einem hast du recht“, sagte sie kalt. „Ich will all das, was du mir unterstellst. Da ist es natürlich viel besser, dass du mir jetzt den Laufpass gibst. So habe ich wenigstens die Chance, den Richtigen
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