Nach alter Sitte
könnte die Zyankali ihm problemlos im Vorbeigehen einen halben Liter Blut abzapfen, dachte er und war dennoch froh, dass die Ärztin dies in der nächsten Zeit vermutlich nicht mehr versuchen würde.
3. Kapitel
Es herrschte bereits geschäftiges Treiben auf der Zülpicher Straße in Nideggen. Auf dem Kopfsteinpflaster klackerten die Absätze eiliger Damen. Die Schritte der männlichen Passanten schienen Lorenz nicht nur leiser, der Machart der Schuhe geschuldet, sondern auch langsamer zu sein. Frauen hatte er immer schon als das gehetztere Geschlecht wahrgenommen. Immer in Eile, immer die nächste Pflicht im Kopf und im Blick.
Bei Bärbel war das anders. Lorenz schaute zur Seite, wo die Freundin entspannt und wie fast immer lächelnd schlenderte, hier und da ein bekanntes Gesicht grüßend, an manchen Auslagen der Geschäfte staunend, als hätte sie dies nicht schon hundertmal gesehen. Als sie am Marktplatz angelangt waren, nahmen sie, ohne dies abgesprochen zu haben, den Weg zum Burgberg hinauf. Vielleicht hatte Lorenz seine Schritte zuerst dorthingelenkt, und Bärbel war sofort darauf eingegangen. Es mochte aber auch umgekehrt sein, das war auf eine angenehme Art gleichgültig. Sie bemerkte seinen Blick und wandte sich ihm zu. »Es scheint dir ja endlich besserzugehen. Da ist wieder etwas Farbe in deinem Gesicht.«
»So? War ich zu blass heute Morgen?«
Bärbel lachte. »Du bist ein unverbesserlicher Brummbär. Natürlich sahst du blass aus. Eine schlechte Nacht, dann eine Ohnmacht, verzeih, ich meinte ein Kreislaufproblem bei der Blutabnahme, und dann der Herr Grosjean, mit dem unser Gustav so schnell Freundschaft geschlossen zu haben scheint. Das war offensichtlich ein bisschen zu viel für dich. Was ist sonst noch schlimm daran?«
»Wenn das alles so offensichtlich ist, brauchen wir ja glücklicherweise nicht weiter darüber zu sprechen«, entgegnete Lorenz und spürte bei dem langen Satz, dass der steile Anstieg in der Burggasse ihm etwas den Atem zu nehmen begann. Unwillkürlich strich er mit der Hand, die nicht mit der Führung des Gehstockes beschäftigt war, über den Bauch, der sich über dem Gürtel spannte. Bärbel bemerkte natürlich auch diese kleine Geste und konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: »Bedauerst du jetzt doch deine Speiseauswahl? Was sagen die Würstchen, der Speck und die Eier zu der Steigung?«
»Sie sagen, dass sie da sind, wo sie hingehören, und dass daneben kein Platz mehr war für Müsli und Obst.«
Lorenz konnte dies so sagen, obwohl er wusste, dass Bärbel selbst vegetarisch lebte und das Essen von Tieren strikt ablehnte. Dennoch war er sich ihrer liebevollen Toleranz sicher, sonst hätte er sich vielleicht nicht so ausgedrückt. Er wollte noch etwas hinzufügen, das etwas milder klang, als Bärbels Mobiltelefon sich meldete und sie den Anruf annahm. »Hallo Benny«, sagte sie leicht erstaunt. Dann lauschte sie dem, was der junge Pfleger ihr mitzuteilen hatte, und entgegnete dann mit noch mehr Erstaunen in ihrer Miene: »Lorenz und ich sind gerade zufällig in dieser Richtung unterwegs. Wir sind in wenigen Minuten dort.« Damit steckte sie das Handy wieder ein und sagte zu Lorenz: »Stell dir vor, der Pfarrer hat bei unserer Verwaltung angerufen und wollte mich sprechen. Er wartet in der Kirche.«
»Was hat er denn so Wichtiges?«, fragte Lorenz, dessen Neugier sofort geweckt war.
»Das hat er Frau Klinkenberg und Benny nicht sagen wollen. Er wollte, dass ich mir etwas ansehe. Und es sei dringend und dulde keinen Aufschub.«
Das Lächeln war aus Bärbels Gesicht verschwunden. Lorenz wusste, dass sie solcherart Überraschungen nicht liebte, da es nicht ganz unwahrscheinlich war, dass der Hintergrund sich eher unangenehm ausnehmen würde. Er dagegen war sofort begeistert von der überraschenden Wendung, die dieser Morgen zu nehmen schien. Unwillkürlich schritt er kräftiger aus.
Bärbel folgte seinem schnelleren Tempo und sah ihn von der Seite an. »Das scheint dir ja schon wieder Spaß zu machen.«
»Aber ja«, entgegnete Lorenz. »Vielleicht hat der Pfarrer etwas Interessantes für uns?«
»Aber wenn es etwas Schönes wäre, hätte er doch am Telefon schon was sagen können, oder nicht?«
Lorenz grinste. Auch Bärbel konnte halt nicht aus ihrer Haut. »Warten wir einfach mal ab, was er hat. Es muss ja nicht gleich etwas Kriminelles sein. Sonst hätte er ja auch eher nach mir gefragt, oder etwa nicht?«
Bärbel nickte nachdenklich. Jedoch schien die Logik
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