Nach alter Sitte
genau hin, betrachtete dann Lorenz’ Gesicht und meinte: »Entschuldigung, aber Frau Professor Müllenmeister hat recht. Das Antlitz des Stifters auf dem Bild ist nicht etwa nur ähnlich, sondern es gleicht dem Ihren bis ins letzte Detail.«
»Damit wissen wir auch schon, dass es sich um eine Fälschung handelt«, sagte Bärbel, deren kühl wissenschaftliche Wortwahl so gar nicht zu dem entsetzten Ausdruck auf ihrem blassen Gesicht passen wollte.
»Nun bist du es aber, die etwas weiß um die Nase ist«, meinte Lorenz, dem selbst auch nicht so ganz wohl in seiner Haut war.
»Um Gottes willen, Lorenz«, stieß Bärbel hervor. »Wie kannst du dabei nur so gelassen sein? Das ist doch unheimlich, oder?«
»Irgendwie schon. Zu dumm, dass ich meine Brille nicht dabeihabe. Ich kann keine Details erkennen.«
»Glaube mir, das bist ganz sicher du.«
Der Pfarrer fragte: »Dann ist das Bild also kein Original von Stephan Lochner?«
»Völlig unmöglich«, antwortete Bärbel. »Es sei denn, vor fünfhundert Jahren hat es einen Auftraggeber für den Maler gegeben, der unserem Opa Bertold bis aufs letzte Barthaar glich. Auch die Farben sind eindeutig frisch. Dermaßen gut restauriert kann ein so altes Bild gar nicht sein. Erstaunlich ist aber, dass jemand, der über diese künstlerischen Fähigkeiten verfügt, sich die Mühe macht, eine offensichtliche Fälschung anzufertigen.«
Lorenz raunte leise: »Der erfahrene Ermittler spürte, dass hier etwas oberfaul war. Warum war er auf einem gefälschten alten Meisterwerk abgebildet, und wer hatte das Bild zu welchem Zweck in der Nideggener Pfarrkirche abgelegt?« Und laut sagte er: »Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Pfarrer, nehmen wir das Bild zu näheren Untersuchungen mit. Auch den Zettel brauchen wir dringend. Ich hoffe, Sie haben nicht zu sehr daran herumgefummelt.«
»Wie meinen Sie das?« Der Geistliche blickte unsicher drein.
»Ich meine das natürlich im Hinblick auf etwaige kriminaltechnische Untersuchungen, was denn sonst?«
Lorenz wollte kopfschüttelnd noch einiges an die Adresse des Pfarrers loswerden, hielt aber dann inne und beobachtete erstaunt, was Bärbel nun tat. Sie nahm ihr Mobiltelefon, machte einige Fotos von dem Bild und klickte dann an den Tasten des Handys herum. »Was machst du da?«, fragte Lorenz neugierig.
»Moment«, sagte Bärbel. »Ich muss jemanden anrufen.« Dann lauschte sie einen Augenblick und sprach dann: »Hallo Justus, hier Bärbel. Ich habe dir eine MMS gesandt. Schau dir das Bild mal genau an, und melde dich dann bitte so schnell du kannst bei mir. Danke. Tschüss.«
»Was hast du jetzt gemacht?«, fragte Lorenz wieder.
»Nun, ich habe einem ehemaligen Kollegen, genauer gesagt meinem Lehrstuhlnachfolger in Düsseldorf, ein Foto des Bildes zukommen lassen. Bin gespannt, was er dazu sagt. Ich habe ihm bewusst keine weiteren Informationen gegeben.«
»Beeindruckend, was du alles kannst«, staunte Lorenz.
»Ich finde es auf eine beunruhigende Weise beeindruckend, was der Erschaffer dieses Bildes kann«, entgegnete Bärbel. »Ich kenne die Arbeiten Stephan Lochners nicht alle im Detail, aber es ist offensichtlich, dass hier ein Kenner der mittelalterlichen Malerei mit großer Kunstfertigkeit zugange war.«
»Und was steckt nun dahinter?«, fragte der Pfarrer.
»Das wird zu klären sein«, meinte Lorenz. »Und ich bin sicher, es geht um mehr, als dass uns nur jemand zeigen will, wie schön er malen kann.«
4. Kapitel
Sein Zimmer kam ihm sehr klein vor. Er durchmaß es in alle Richtungen mit unruhigen Schritten. Immer wieder blieb er vor dem Bild stehen und betrachtete es eingehend. Die heilige Katharina, mit dem Schwert in der einen und dem zerbrochenen Wagenrad in der anderen Hand, sah ihn eindringlich an. Allzu lange konnte er nicht darauf schauen, und so begann er von Neuem auf und ab zu gehen. Es war lange her, seit Lorenz sich in seinem Zimmer in der Seniorenresidenz wie in einer Gefängniszelle gefühlt hatte. Damals, in den ersten Tagen hier, war es ihm so gegangen. Dann hatte er Freunde gefunden, es waren spannende Dinge geschehen, die ihn ins Leben zurückgeholt hatten. Er hatte wieder daran geglaubt, noch eine Zukunft zu haben, wie kurz sie auch währen mochte.
Und nun war er in seine Vergangenheit zurückgeworfen worden. Hart und brutal. Von einem Unbekannten, den er nicht einzuschätzen wusste. Wieder hielt er inne, um das Bild zu betrachten. Nun trug er seine Brille und konnte alle Einzelheiten des Gemäldes
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