Nach alter Sitte
des Alten sie nicht so ganz zu beruhigen. Und so waren beide aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus froh, als sie den Anstieg durch die malerische Gasse bewältigt und die Nideggener Pfarrkirche erreicht hatten.
Lorenz öffnete das patinagrüne Bronzetor und ließ Bärbel eintreten. Er folgte ihr auf dem Fuße. Linker Hand gleich am Eingang befand sich das Grabmal des Grafen Wilhelm und seiner Gattin Ricarda. Lorenz erinnerte sich noch lebhaft an sein Abenteuer, das mit dem Leben dieses mittelalterlichen Fürstenpaares verbunden gewesen war. Lorenz atmete die kühle Luft ein, die in der Basilika stand, und ließ die Atmosphäre des romanischen Bauwerks auf sich wirken. Er hatte dazu jedoch nicht viel Zeit, denn schon kam ihnen der Pfarrer eilig entgegen und reichte ihnen die Hand, die sich feucht verschwitzt anfühlte.
»Frau Professor Müllenmeister«, begrüßte er Bärbel leicht hektisch. »Wie schön, dass Sie so schnell kommen konnten.«
»Wir waren gerade auf einem Spaziergang in der Nähe«, sagte Bärbel. Auf die Nennung ihres Titels – Lorenz wusste, dass sie dies nicht sonderlich mochte – entgegnete sie nichts.
Der Pfarrer wies in Richtung Altar und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Lorenz fiel auf, dass die Geste eigentlich nur Bärbel galt und der Pfarrer ihn überhaupt nicht beachtete, aber das ärgerte ihn nicht. Vielmehr zeigte es ihm, dass der Geistliche durch irgendetwas ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht worden sein musste, denn ansonsten hätte er sich, höflich wie Lorenz ihn kannte, auch ihm zugewandt. Sie gingen zwischen den leeren Holzbänken hindurch und betraten das Sanctuarium, in dessen Zentrum sich der Altar befand. Dahinter wölbte sich das Halbrund der Apsis, wo ein Fresko den thronenden Christus, flankiert von seiner Mutter und Johannes dem Täufer, zeigte.
»Bitte, Frau Professor, sehen Sie sich das an. Dies lag heute Morgen so auf dem Altar.« Bärbel und Lorenz traten näher, mit ihren Augen der Handbewegung des Pfarrers folgend. Ihr Blick fiel auf ein rahmenloses Bild, das, wie es Lorenz schien, in sehr altem Stil und mit religiösem Hintergrund gemalt war. Er wartete nun, da er Bärbel den Vortritt gelassen hatte und keine Details erkennen konnte, ebenso wie der Pfarrer auf Bärbels Einschätzung. Die ließ dann auch nicht lange auf sich warten.
»Das ist interessant«, begann sie. »Das lag hier so auf dem Altar?«
»Ja, zusammen mit diesem Zettel hier.« Der Pfarrer kramte in seiner Tasche und holte ein Papier hervor, auf dem offenbar via Computer gedruckt stand: »Fragen Sie Frau Professor Bärbel Müllenmeister, Seniorenresidenz Burgblick zu Nideggen, nach der Herkunft dieses Kunstwerkes.«
»Das muss jemand in der Nacht hier hingelegt haben. Ich fand die Tür heute Morgen offen, obwohl ich ganz sicher bin, sie gestern Abend abgeschlossen zu haben.«
Lorenz ärgerte sich, dass er seine Brille vergessen hatte, und verkniff sich eine Bemerkung über Glaubensangelegenheiten.
Bärbel betrachtete das Bild und murmelte, mehr für sich selbst als die beiden wartenden Männer, vor sich hin: »Also. Es handelt sich um Öl auf dünnem Holz. Das Material sieht sehr alt aus, die Farbe extrem gut erhalten. Der Stil ist ganz eindeutig aus der Schule des Stephan Lochner, das Bild kenne ich sogar. Fünfzehntes Jahrhundert. Es zeigt drei Heilige, links die Katharina, in der Mitte Hubertus und die Figur rechts – da müsste ich nachschauen. Unten, sehr viel kleiner, ist der Stifter des Bildes zu sehen, das hat man früher – oh mein Gott!«
Die letzten Worte hatte Bärbel voller Entsetzen ausgerufen. Lorenz war wie elektrisiert. »Was ist? Was hast du?«, fragte er hastig.
»Das kann doch nicht sein«, stammelte Bärbel, sichtlich fassungslos.
»Nun sag schon«, drängelte Lorenz. Bärbel sah ihn an, darauf musterte sie nochmals angestrengt das Bild, dann wieder ihn. Schließlich sagte sie: »Die Stifterfigur stellt, wenn mich nicht alles täuscht, dich dar, lieber Lorenz.«
»Nein!« Lorenz drängte sich dichter an den Altar und beugte sich über das Bild. Der vor den hohen Gestalten der Heiligen kniende Mann trug eine braune Mönchskutte, das Gesicht war von einem weißen Vollbart bedeckt, zwischen den zum Gebet gefalteten Händen hielt er einen Gehstock. Auch wenn Lorenz keine Brille trug, konnte er erkennen, dass dieser Mann ihm glich.
»Nun«, sagte er. »Da kann schon eine Ähnlichkeit sein, aber so genau ist das doch nicht zu sagen.«
Der Pfarrer sah nun auch
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