Nach dem Bankett.
Kopf. Am nächsten Tag gab Göring einen Empfang. Matsuyama und ich gingen hin und studierten ihn eingehend. Es war derselbe Mensch, den wir am Vortag gesehen hatten. Ich konnte meine Neugier nicht länger bezwingen, vergaß ganz meine Stellung als Botschafter und platzte heraus: ›Gestern fuhren wir mit der Untergrundbahn, um uns einma anzusehen, wie die einfachen Leute leben. Es war sehr aufschlußreich. Belieben Eure Exzellenz auch so etwas zu unternehmen?‹ Göring lächelte und gab eine vieldeutige Antwort. ›Wir sind stets eins mit dem Volk, sind Teil unseres Volkes. Es besteht daher keine Notwendigkeit für mich, in der U-Bahn zu fahren.‹« Tamaki brachte Görings Antwort in klarem Deutsch, fügte dann aber die Übersetzung hinzu.
Die ehemaligen Botschafter wirkten zwar in ihrer äußeren Erscheinung wie Diplomaten, benahmen sich aber keineswegs so: Niemand hörte zu, wenn der andere etwas erzählte. Der frühere Botschafter in Spanien konnte kaum das Ende von Tamakis Geschichte abwarten und begann sogleich davon zu erzählen, was er als Konsul in Santo Domingo, der schönen Hauptstadt der Dominikanischen Republik, erlebt hatte. Er berichtete von Spaziergängen am Meer unter Palmen, von den großartigen Sonnenuntergängen an der Karibischen See, er schwärmte davon, wie die braune Haut der Mulattenmädchen in den Strahlen der untergehenden Sonne aufeuchtete. Der alte Mann blühte förmlich auf, während er diese Bilder bis in die kleinsten Einzelheiten ausmalte. Aber der beredte Tamaki brachte das Gespräch bald wieder an sich und erzählte von Marlene Dietrich, die er kennengelernt hatte, als sie noch jung war. Unbekannte Schönheiten interessierten Tamaki nicht: er brauchte klangvolle Namen, fitterglänzenden Ruhm, um seinen Erzählungen Farbe zu geben.
Kazu fühlte sich etwas unbehaglich bei den Gesprächen ihrer Gäste. Es kamen so viele Fremdwörter vor, und besonders bei pikanten Geschichten wurde die Pointe stets in der Originalsprache serviert. Doch die Atmosphäre, die diese ehemaligen Diplomaten umgab, fesselte Kazu. Es waren wirklich vornehme alte Herren; und mochten sie auch jetzt verarmt sein, so merkte man ihnen doch an, daß sie einst mit wirklichem Prunk und Luxus in Berührung gekommen waren. Die Erinnerung daran – so traurig es auch war, daß sie nur in der Vergangenheit lebten – hatte ihr ganzes Leben mit Gold überstäubt.
Nur Noguchi Yuken unterschied sich von den anderen. Aus seinem männlichen Gesicht sprachen Schlichtheit und Gelassenheit. Auch seine Kleidung war, im Gegensatz zu der der anderen, weder aufallend noch stutzerhaft. Die Brauen über den scharfblickenden Augen wuchsen in schwungvollen Bogen und liefen wie schmale Pinselstriche aus. Er hatte ausgeprägte Züge, und doch wirkte sein Gesicht disharmonisch, ein Eindruck, der durch seine hagere Gestalt noch unterstrichen wurde. Auch Noguchi lächelte stets, grif aber selten in die Unterhaltung ein. Man hatte vielmehr den Eindruck, daß er nur aufmerksam beobachte. Diese Eigentümlichkeit fel Kazu auf; aber es war ihr schon bei der ersten Begegnung auch nicht entgangen, daß sein Kragen einen leichten grauen Schmutzrand hatte.
›Wie kann ein ehemaliger Minister ein schmutziges Hemd tragen? Hat er denn niemand, der sich um ihn kümmert?‹ Verstohlen wanderte ihr Blick zu den anderen Gästen. Sie alle trugen makellose weiße Hemdkragen, die die welken
Hälse der eleganten alten Herren eng umschlossen.
Noguchi sprach auch nicht von der Vergangenheit. Er war ebenfalls eins Botschafter gewesen, in einem kleinen Land, bevor er zum Ministerium zurückberufen wurde; aber das prunkvolle, glänzende Leben eines Diplomaten schien ihn nicht mehr zu interessieren. Er weigerte sich, von Vergangenem zu reden, und dies war ein Zeichen, daß er als einziger der Gegenwart zugewand war.
Botschafter Tamaki begann wieder von großen Empfängen zu erzählen: Von einem prunkvollen Ball in einem Schloß, zu dem sich die Fürstlichkeiten und de Adel Europas unter strahlenden Lüstern zusammengefunden hatten. Der Abend hatte einer Ausstellung der Orden und Juwelen ganz Europas geglichen, und die faltigen, feckigen Wangen der aristokratischen Greisinnen wirkten in dem Widerschein unzähliger Edelsteine bleich wie welke weiße Rosen.
Dann sprach man über Opernauführungen aus jener Zeit. Einer der Herren erzählte begeistert von der ausgezeichneten Wahnsinnsszene der Galli-Curci in der »Lucia«;
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