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Nach dem Bankett.

Nach dem Bankett.

Titel: Nach dem Bankett. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yukio Mishima
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Spaziergängen im Garten genoß Kazu die Freuden des Alleinseins und die Gelegenheit, ihren Gedanken nachzuhängen. Sie, die fast den ganzen Tag plauderte oder sang, war kaum je allein, und obgleich sie es gewohnt war, Gäste zu unterhalten, fühlte sie sich oft erschöpft. Der morgendliche Spaziergang brachte ihr zu Bewußtsein, daß ihr Herz ruhig und still geworden war und kein Verlangen mehr spürte, sich in Liebe hinzugeben.
       ›Die Liebe wird mein Leben nicht mehr verwirren‹, dachte sie und beobachtete, erfüllt von dieser Gewißheit, wie die Strahlen der Sonne den Dunstschleier zwischen den Bäumen durchbrachen und den grünen Moosteppich auf dem Wege aufeuchten ließen. Schon lange hatte sie der Liebe entsagt: ihre letzte Leidenschaft war bereits zu einer fernen Erinnerung verblaßt. Sie war in tiefster Seele davon überzeugt, gegen alle gefährlichen Gefühle gefeit zu sein.
       Dieser Morgenspaziergang war für Kazu eine stete Quelle der Selbstsicherheit Sie war bereits über fünfzig. Jeden hätte wohl der Anblick dieser anmutigen Frau mit dem jugendlichen Teint und den strahlenden Augen beeindruckt, die da in dem großen Park langsam auf und ab wandelte, und mancher hätte gern meh von ihrem Leben erfahren. Trotzdem wußte niemand besser als Kazu, daß es nichts mehr zu erzählen gab und das Lied bereits verklungen war. Zwar spürte sie sich noch im Besitz aller Lebenskräfte, wußte aber zugleich, daß diese bereits gehemmt waren und nachließen und sich nicht mehr zügellos verströmen würden.
       Der große, weite Park und die Häuser, ein ansehnliches Bankkonto und Wertpapiere, ihre einfußreichen und großzügigen Gäste aus Politik und Wirtschaft verbürgten Kazu einen sicheren Lebensabend. Sie hatte es zu etwas gebracht und brauchte sich nicht mehr davor zu fürchten, daß die Leute sie haßten oder hinter ihrem Rücken über sie redeten. Sie gehörte zur Gesellschaft wurde verehrt, ging vornehmen Vergnügungen nach, konnte sich einen fähigen Verwalter leisten und brauchte auf Reisen und Gesellschaften mit Trinkgeldern nicht zu sparen. Sie konnte ihren Lebensabend in Wohlstand und Überfuß verbringen.
      Wenn Kazu solche Gedanken durch den Kopf gingen, verhielt sie den Schrit und setzte sich auf die Bank neben dem Eingang. Dann ließ sie ihren Blick übe den schmalen, bemoosten Weg wandern, der zum Teezimmer führte, genoß die Strahlen der Morgensonne und beobachtete die finken Bewegungen de umherfiegenden Vögel.
       Hier hörte man weder das Rattern der Straßenbahn noch das Hupen de Autos. Die Welt war ein regloses Bild. Wie war es möglich, daß Gefühle, die einmal gelodert hatten, ohne eine Spur zu hinterlassen, verlöschten? Kazu konnte es nicht begreifen. Wie konnte sich etwas in Nichts aufösen, das einma ihren ganzen Körper erfüllt hatte? Es erschien ihr wie eine Lüge, daß der Mensch durch die Erfahrungen, die er sammelt, wachse und reife. Vielleicht war de Mensch eher wie ein dunkles Abfußrohr, durch das alles mögliche hindurchfoß oder wie das Pfaster einer Kreuzung, auf dem viele Fahrzeuge ihre Spuren hinterlassen hatten? Das Rohr wurde brüchig, das Pfaster verwitterte, aber auch sie waren einmal gleichsam jungfräulich gewesen.
       Kazu wußte schon lange nicht mehr, was es hieß, blindlings vor sich hinzuleben Für sie war jetzt alles hell und klar wie der Anblick dieses Gartens am Morgen Alle Dinge hatten scharfe Konturen, nichts war doppeldeutig in dieser Welt. Sie glaubte sogar, sie könne den Menschen ins Herz schauen. Es gab nicht mehr vie worüber sie sich wunderte. Wenn sie erfuhr, daß jemand seinen Freund betrogen hatte, dann dachte sie: ›Das kommt öfter vor.‹ Und wenn jemand sich einer Frau wegen ruiniert hatte, dachte sie: ›Das ist keine Seltenheit.‹ Gewiß war nur, daß sie
    selber niemals in eine solche Situation geraten würde.
       In Liebesangelegenheiten befragt, gab Kazu verständnisvolle und kluge Ratschläge. Das Seelenleben der Menschen war für sie in zwanzig bis dreißig Kategorien eingeteilt, und wenn sie diese verschiedenen Kategorien miteinander in Beziehung setzte, konnte sie sogar die schwierigsten Probleme lösen. Andere Komplikationen barg das Leben für sie nicht mehr. Alles war, wie beim Go-Spiel, durch einige wenige Regeln festgelegt, und sie hatte, wie ein Meisterspieler, für jeden einen passenden Rat bereit. Es war daher selbstverständlich, daß sie alles Neue verachtete. Die Menschen mochten sich für

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