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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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verlassen da. Ich war so voller Adrenalin, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte den Weg zu Dads Auto fliegen. Meine ewig pragmatische Seite erinnerte mich daran, dass ich noch den Abschleppdienst rufen musste, um mein eigenes Auto vom Waldrand wegholen zu lassen. Aber so richtig genervt war ich deswegen jetzt nicht, denn ich konnte an nichts anderes denken als an Sam. Mein Wolf war ein süßer Typ und wir hielten Händchen. Jetzt konnte ich zufrieden sterben.
    Plötzlich fühlte ich, wie Sam zögerte. Er blieb stehen und blickte hinaus in die Dunkelheit, die sich gegen die Glastür drängte. »Wie kalt ist es da draußen?«
    »Vermutlich nicht viel kälter als vor ein paar Stunden. Meinst du, das ist wirklich so schlimm?«
    Sams Gesicht verdüsterte sich. »Ich stehe gerade auf der Kippe. In dieser Jahreszeit ist es furchtbar, da kann ich beides sein.«
    Ich hörte den Schmerz in seiner Stimme. »Tut es weh, wenn du dich verwandelst?«
    Er sah mich nicht an. »Ich will jetzt einfach lieber ein Mensch bleiben.«
    Ich wollte auch, dass er ein Mensch blieb. »Dann lass ich schon mal das Auto an und drehe die Heizung auf. So bist du nur ganz kurz in der Kälte.«
    Er wirkte etwas hilflos. »Aber ich weiß doch gar nicht, wohin.«
    »Wo wohnst du denn sonst?« Ich hatte Angst, dass er darauf etwas Schlimmes, Mitleiderregendes antworten würde wie »im Obdachlosenasyl« oder so. Bei den Eltern, die ihm die Pulsadern aufgeschnitten hatten, lebte er ja wahrscheinlich nicht mehr.
    »Beck, einer der Wölfe - wenn er ein Mensch ist, wohnen viele von uns bei ihm, aber falls er sich schon verwandelt hat, läuft die Heizung wohl nicht. Ich könnte -«
    Ich schüttelte den Kopf und ließ seine Hand los. »Nein. Ich hole jetzt das Auto und du kommst mit mir nach Hause.«
    Er riss die Augen auf. »Und deine Eltern?«
    »Die müssen ja nicht alles wissen«, entgegnete ich und schob die Tür auf. Ein Schwall kalter Luft ließ Sam zusammenzucken. Er machte einen Satz zurück und schlang die Arme um sich. Obwohl er so zitterte, biss er sich auf die Lippen und lächelte mich schüchtern an.
    Ich ging auf den dunklen Parkplatz zu. Und fühlte mich lebendiger, glücklicher, ängstlicher als je zuvor.

  Kapitel 15 - Grace (6°C)
    S chläfst du?« Sams Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber in dem dunklen Zimmer, in dem er so fremd wirkte, war es fast, als hätte er geschrien.
    Ich rollte mich zu der Seite meines Bettes, wo er auf dem Boden lag, ein dunkles Bündel in einem Nest von Decken und Kissen. Seine Gegenwart, ungewohnt und aufregend, erfüllte den ganzen Raum und lastete auf mir. Ich glaubte nicht, überhaupt jemals wieder schlafen zu können. »Nein.«
    »Darf ich dich was fragen?«
    »Hast du doch gerade.«
    Er schwieg und überlegte. »Darf ich dich dann noch was fragen?«
    »Hast du doch gerade.«
    Sam stöhnte und warf eines der kleinen Sofakissen nach mir. Wie ein schwarzes Geschoss segelte es durch das mondscheinerhellte Zimmer und traf mich sanft am Kopf. »Aha, du bist also 'ne kleine Besserwisserin!«
    Ich grinste in die Dunkelheit. »Na gut, ich bin ja schon brav. Was willst du denn wissen?«
    »Du wurdest gebissen.« Das war aber keine Frage. Sogar quer durch das Zimmer konnte ich die Neugier in seiner Stimme hören, die Spannung in seinem Körper spüren. Ich schlüpfte unter meine Decke, als könnte ich mich vor dem verstecken, was er gesagt hatte.
    »Ich weiß nicht.«
    Sams Stimme war jetzt lauter als ein Flüstern. »Wie kannst du das denn nicht wissen?«
    Ich zuckte mit den Schultern, obwohl er das ja nicht sehen konnte. »Ich war doch noch so klein.«
    »Ich war auch noch klein. Aber ich wusste trotzdem, was mit mir passierte.« Als ich nicht antwortete, fragte er: »Hast du darum einfach nur dagelegen? Weil du gar nicht wusstest, dass sie dich töten wollten?«
    Ich starrte aus dem Fenster, auf das schwarze Stück Nacht dahinter, versunken in Erinnerungen an Sam als Wolf. Das Rudel umringte mich, Zungen und Zähne, Knurren und Zerren. Einer der Wölfe blieb zurück, im Pelz an seinem Hals glitzerte Eis, er zitterte, während er mich beobachtete. Ich lag da, in der Kälte, unter einem weißen Himmel, der sich langsam verdunkelte, und sah ihn an. Er war schön: dunkel und wild, seine gelben Augen ließen eine Tiefe erahnen, die ich kaum erfassen konnte. Und er verströmte einen intensiven Geruch, genau wie die anderen Wölfe um mich herum -moschusartig, ungezähmt. Selbst hier in meinem Zimmer konnte ich

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