Nach Dem Sommer
gezählt, um es gleichzeitig hinzukriegen. Ich kann den Anblick einer Badewanne noch heute nicht ertragen.«
Einen Augenblick lang verstand ich gar nicht, was er meinte. Vielleicht lag es daran, wie ruhig und nüchtern er es erzählte, an dem Bild, das mir nun durch den Kopf spukte, oder einfach am Schock dieses ganzen Abends, aber plötzlich fühlte ich mich ganz benommen. In meinem Kopf drehte sich alles, der Puls dröhnte mir in den Ohren und dann landete ich unsanft auf dem fleckigen Linoleumboden.
Ich weiß nicht genau, wie lange ich so weggetreten da lag - das Nächste, was ich mitbekam, war, wie der Vorhang aufgeschoben wurde und Sam sich im selben Moment aufs Bett warf und den Verband wieder an seinen Hals klatschte. Dann kniete ein Krankenpfleger neben mir und half mir, mich aufzusetzen.
»Alles in Ordnung?«
Ich war in Ohnmacht gefallen. Noch nie im Leben war ich in Ohnmacht gefallen. Ich machte die Augen zu und schlug sie wieder auf, bis der Pfleger nur noch einen Kopf anstelle von dreien hatte. Dann log ich drauflos. »Ich musste gerade an das ganze Blut denken, als ich ihn gefunden habe ... ooohhh ...« Mir war immer noch ganz schwummrig, mein »ooohhh« klang also sehr überzeugend.
»Denk nicht mehr dran«, riet er mir und lächelte mich überaus freundlich an. Für meinen Geschmack lag seine Hand ein bisschen zu nah an meiner Brust, und aufgrund dieser Tatsache festigte sich mein Entschluss, den peinlichen Plan, der mir gerade in den Sinn gekommen war, auch wirklich durchzuziehen.
»Ich glaube - Mann, das ist mir jetzt echt unangenehm«, murmelte ich mit rotem Kopf. Das hier war beinahe genauso schlimm, wie die Wahrheit zu sagen. »Meinen Sie, ich könnte mir vielleicht ein paar Klamotten ausleihen? Ich - äh - also, meine Hose -«
»Oh!«, rief der arme Kerl. Wahrscheinlich war ihm mein Malheur umso peinlicher, wenn er daran dachte, wie er mich vorher angeflirtet hatte. »Ja. Selbstverständlich. Bin gleich wieder da.«
Er hielt sein Versprechen und erschien ein paar Minuten später tatsächlich mit einem Stapel ordentlich zusammengefalteter OP-Klamotten in Kotzgrün. »Die sind wahrscheinlich ein bisschen zu groß, aber die Dinger haben solche Schnüre, mit denen man - du weißt schon.«
»Danke«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Ähm, könnten Sie wohl kurz -? Ich zieh mich mal eben hier drin um. Der kriegt gerade sowieso nichts mit.« Ich zeigte auf Sam, der überzeugend den Narkotisierten spielte.
Der Pfleger verschwand hinter dem Vorhang. Sam schlug die Augen auf und grinste, er amüsierte sich anscheinend königlich.
»Hast du dem Typen echt erzählt, du hättest dich eingepinkelt?«, flüsterte er.
»Klappe!«, zischte ich wütend und warf ihm die Sachen an den Kopf. »Jetzt beeil dich schon, bevor die noch merken, dass ich mir nicht in die Hose gemacht habe. Du bist mir wirklich was schuldig.«
Er grinste und wurstelte sich unter der dünnen Krankenhausbettdecke in die Hose, zog sich dann den Verband wieder vom Hals und die Blutdruckmanschette vom Arm. Kaum fiel die Manschette aufs Bett, hatte er sich schon das Nachthemd vom Leib gerissen und war in das OP-Shirt geschlüpft. Piepsend beschwerte sich der Überwachungsmonitor, der jetzt nur noch Nulllinien anzeigte und den Krankenschwestern so Sams Tod verkündete.
»Weg hier«, raunte er, und wir schlüpften durch den Vorhang, hinter dem ich ein paar Sekunden später auch schon die Krankenschwestern hörte. Sam blieb stehen und ließ seinen Blick kurz durch den Raum schweifen.
»Aber er stand doch noch unter Narkose!«, erhob sich Sunnys Stimme über alle anderen.
Sam nahm meine Hand, ganz selbstverständlich, und zog mich auf den grell erleuchteten Flur. Jetzt, da er etwas anhatte - dazu noch OP-Klamotten - und auch nicht mehr triefte vor Blut, schenkte ihm niemand Beachtung, als er am Schwesternzimmer vorbei auf den Ausgang zueilte. Ich konnte sehen, wie der Wolf in ihm unser Umfeld immer wieder analysierte. An seinem geneigten Kopf erkannte ich, worauf er lauschte, und daran, wie er das Kinn hob, welche Gerüche er aufnahm. Obwohl er so schlaksig wirkte, war er sehr wendig und bahnte sich geschickt einen Weg durch das Gewirr, bis wir im Foyer anlangten.
Aus den Lautsprechern dudelte ein schmalziger Countrysong.
Meine Sneakers machten ein dumpfes Geräusch auf dem hässlichen, dunkelblau karierten Teppichboden; Sams nackte Füße bewegten sich lautlos. So spät in der Nacht war dort kein Mensch, sogar der Empfang lag
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