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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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noch den Wolf an ihm riechen, obwohl er jetzt Krankenhauskleidung und eine neue Haut trug.
    Draußen hörte ich ein leises, eindringliches Heulen, dann noch eines. Der nächtliche Chor wurde lauter, und auch wenn Sams traurige Stimme fehlte, war er wunderschön. Mein Herz schlug schneller, halb wahnsinnig vor unbestimmbarem Verlangen. Auf dem Boden gab Sam ein leises Wimmern von sich. Dieser unglückliche Laut, irgendwie halb menschlich und halb wölfisch, holte mich zurück in die Wirklichkeit.
    »Fehlen sie dir?«, flüsterte ich.
    Sam stieg aus seinem provisorischen Bett und ging zum Fenster, eine ungewohnte Silhouette vor dem Nachthimmel, die Arme um den schmächtigen Körper geschlungen. »Nein. Doch. Ich weiß nicht. Ich fühle mich irgendwie ... nicht gut. Als würde ich nicht hierhergehören.«
    Das kenne ich. Ich wollte etwas sagen, um ihn zu trösten, aber mir fiel einfach nichts ein, das aufrichtig genug geklungen hätte.
    »Aber das bin doch ich«, fuhr er fort und machte mit dem Kinn eine Geste, die seinen ganzen Körper einschloss. Ich fragte mich, ob er damit mich oder sich selbst überzeugen wollte. Er blieb am Fensler stehen und draußen erreichte das Wolfsheulen eine Intensität, von der mir fast die Tränen kamen.
    »Komm rauf und lass uns reden«, schlug ich vor, um uns beide abzulenken. Sam drehte sich halb zu mir um, aber ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Auf dem Boden ist es zu kalt und du holst dir nur einen steifen Nacken. Los, komm schon rauf.«
    »Und deine Eltern?«, fragte er, dieselbe Frage, die er auch schon im Krankenhaus gestellt hatte. Ich wollte ihn gerade fragen, warum er sich so viele Gedanken darum machte, als mir Sams Geschichte über seine eigenen Eltern wieder einfiel und die wulstigen, glänzenden Narben an seinen Handgelenken.
    »Als ob die das mitkriegen würden.«
    »Wieso, wo sind sie denn?«
    »Noch auf der Galerieeröffnung wahrscheinlich. Meine Mutter ist Künstlerin.«
    »Es ist drei Uhr morgens.« Er klang verwundert.
    Meine Stimme war lauter, als ich beabsichtigt hatte. »Komm einfach rauf. Vorausgesetzt natürlich, du benimmst dich. Und klaust mir nicht die Decke.« Er rührte sich immer noch nicht, und ich fügte hinzu: »Jetzt mach schon, bevor von der Nacht nichts mehr übrig ist.«
    Fügsam hob er eines der Kissen vom Fußboden auf, doch als er dann neben meinem Bett stand, zögerte er wieder. Im Halbdunkel erkannte ich nur seinen bekümmerten Gesichtsausdruck, als er mein Bett, das verbotene Territorium, betrachtete. Ich war nicht ganz sicher, ob ich sein Widerstreben, das Bett mit einem Mädchen zu teilen, süß fand oder ob ich beleidigt sein sollte, weil ich offensichtlich nicht heiß genug war, dass er sich sofort wie ein wilder Stier zu mir auf die Matratze gestürzt hätte.
    Schließlich kletterte er doch zu mir herein. Das Bett quietschte unter seinem Gewicht und er zuckte zusammen, dann legte er sich so weit wie möglich ans andere Ende, noch nicht einmal unter die Decke. Jetzt konnte ich den schwachen Wolfsduft besser riechen und seufzte auf, seltsam zufrieden. Er seufzte auch.
    »Danke«, sagte er. Dafür, dass er in meinem Bett lag, klang das ganz schön formell.
    »Gerne.«
    Da wurde mir die Wirklichkeit mit einem Schlag bewusst. Ich lag im Bett mit einem Jungen, der seinen Körper wechselte. Und es war nicht nur irgendein Junge, sondern es war mein Wolf. Ich dachte wieder an den Moment, als das Verandalicht angegangen war und ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Dabei spürte ich, wie mich eine seltsame Mischung aus Aufregung und Nervosität durchfuhr.
    Sam drehte mir seinen Kopf zu, als hätte mein Nervenflattern einen Impuls zu ihm hinübergesandt. Ich konnte seine Augen in der Dunkelheit leuchten sehen, nur ein paar Zentimeter von mir entfernt. »Du wurdest gebissen. Du hättest dich auch verwandeln müssen und das weißt du.«
    In meinem Geist sah ich wieder die Wölfe, wie sie sich um ein kleines Bündel im Schnee drängten, mit blutigen Lippen und gefletschten Zähnen, sie knurrten über ihrer Beute. Ein Wolf, Sam,
    schleifte das Bündel aus ihrer Mitte. Er trug es durch die Bäume, auf zwei Beinen, und hinterließ dabei menschliche Fußabdrücke. Ich merkte, dass ich kurz davor war, einzuschlafen, und schüttelte mich selbst wieder wach; ich war mir nicht sicher, ob ich Sam geantwortet hatte.
    »Manchmal wünsche ich mir, ich hätte mich verwandelt.«
    Er schloss die Augen. Die andere Seite des Bettes schien plötzlich

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