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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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dem albernen Krankenhausnachthemd abzeichnete.
    Er blinzelte. »Ach so, weil Frühling ist. Weil es warm ist. Wenn es warm ist, werde ich zu mir. Zu Sam.«
    Jetzt zog ich die Hand doch weg, schloss die Augen und versuchte, den letzten Rest meiner Vernunft für einen kurzen Moment zusammenzukratzen. Als ich die Augen wieder aufmachte und etwas sagte, war es wohl das Banalste, was mir hätte einfallen können. »Es ist nicht Frühling. Wir haben September.«
    Ich bin zwar nicht die allerbeste Menschenkennerin, aber ich meinte, eine Spur von Angst in seinen Augen aufblitzen zu sehen, bevor sie dann wieder ruhig wirkten. »Das ist nicht gut«, bemerkte er. »Tust du mir einen Gefallen?«
    Beim Klang seiner Stimme musste ich die Augen wieder schließen. Sie hätte einfach nicht so vertraut sein dürfen, aber das war sie, und auf irgendeiner Ebene berührte sie mich, wie es schon seine Blicke getan hatten, als er noch ein Wolf war. Das Ganze hier zu akzeptieren, war schwieriger als gedacht. Ich schlug die Augen wieder auf. Er war immer noch da. Ich versuchte es noch einmal: Augen zu, Augen auf. Aber er war nicht verschwunden.
    Er lachte. »Bekommst du gerade einen epileptischen Anfall, oder was? Vielleicht solltest du dich gleich mit ins Bett legen.«
    Ich runzelte die Stirn. Als er erkannte, wie doppeldeutig der Satz geklungen hatte, wurde er feuerrot. Ich erlöste ihn aus seiner Verlegenheit und beantwortete seine Frage. »Welchen Gefallen?«
    »Ich, äh, brauche ein paar Klamotten. Ich muss hier weg, bevor die rauskriegen, was für ein Freak ich bin.«
    »Was meinst du denn? Dein Fell ist doch jetzt weg.«
    Sam griff sich an den Hals und begann, an seinem Verband zu knibbeln.
    »Spinnst du?« Ich versuchte noch, seine Hand wegzureißen, doch zu spät. Er zupfte den Mull ab, unter dem vier frische Stiche zum Vorschein kamen, die sich als gestrichelte Linie durch verheiltes Narbengewebe zogen. Ich sah weder eine frische, blutige Wunde noch irgendeinen Hinweis auf den Schuss außer der rosig glänzenden Narbe. Mir klappte die Kinnlade herunter.
    Sam lächelte, sichtlich zufrieden mit meiner Reaktion. »Siehst du? Meinst du nicht, dass die bald Verdacht schöpfen?«
    »Aber da war doch so viel Blut -«
    »Klar. Solange sie noch so stark geblutet hat, konnte die Wunde auch nicht verheilen. Aber als sie mich erst mal genäht hatten -« Er zuckte mit den Schultern und machte eine Handbewegung, als schlüge er ein kleines Buch auf. »Simsalabim. Ich zu sein, hat auch sein Gutes.«
    So locker er es auch dahinsagte - es entging mir nicht, wie bang er mich ansah und sich fragte, wie ich wohl mit alldem zurechtkam. Wie ich damit zurechtkam, dass er überhaupt existierte.
    »Okay, ich muss mal eben was ausprobieren«, erklärte ich. »Ich will nur mal -« Ich trat einen Schritt vor und berührte die Narbe an seinem Hals. Die glatte, straffe Haut zu spüren, überzeugte mich irgendwie viel mehr als seine Worte. Sams Blick wanderte zu meinem Gesicht und wieder weg, er wusste nicht, wo er hinschauen sollte, während ich die wulstig verheilte Narbe unter der rauen Naht befühlte. Ich ließ die Hand ein kleines bisschen länger als nötig auf seinem Hals liegen, nicht auf der Narbe, sondern daneben, auf der weichen, nach Wolf duftenden Haut. »Hast recht. Du musst auf jeden Fall hier weg, bevor sie das sehen. Aber wenn du dich gegen ärztlichen Rat selbst entlässt oder einfach abhaust, suchen sie dich bestimmt.«
    Er verzog das Gesicht. »Ganz bestimmt nicht. Dann denken sie sich nur, dass ich obdachlos bin und keine Versicherung habe. Was ja auch stimmt. Also, das mit der Versicherung.«
    Auf die subtile Art kam ich wohl nicht weiter. »Nein, dann denken die, dass du nicht zum Psychologen geschickt werden willst. Die meinen, du hättest versucht, dich zu erschießen, weil -«
    Sam guckte nur verwirrt. Ich deutete auf seine Handgelenke.
    »Ach, das. Das war ich nicht.«
    Wieder runzelte ich die Stirn. Ich wollte nichts sagen wie »Schon in Ordnung, ich kann dich verstehen« oder »Du kannst es mir ruhig erzählen, ich denke auch bestimmt nicht schlecht von dir«. Damit wäre ich genauso schlimm wie Sunny gewesen, die einfach davon ausging, dass er versucht hatte, sich umzubringen. Aber es war ja auch nicht gerade so, als hätte er sich solche Narben bei einem Treppensturz holen können.
    Nachdenklich rieb er sich mit dem Daumen übers Handgelenk. »Das hier war meine Mom. Und die andere, das war Dad. Ich weiß noch, sie haben bis drei

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