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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Krankenkasse.
    Verbissen zerrte er an dem Gummiband, das seine nur schulterlangen Haare zusammenhielt. Vor fast zwei Jahren hatte er im Zuge eines Anfalls von Verwandlungswut den Langhaarschneider genommen und seine Mähne abrasiert. Es hatte nur drei Minuten gedauert, bis er sein Treiben bitter bereute.
    Andreas räusperte sich und versuchte sich davon zu überzeugen, dass er für sich selbst und für die Tiere, die von seiner Fürsorge abhängig waren, gute Arbeit geleistet hatte.
    Das Wochenende war verdient. Lange schlafen, fernsehen, am Computer spielen, gut essen, träumen. Seit Montagmorgen hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Jetzt, wo er da war, fühlte Andreas sich erbärmlich. Weder war er aufrichtig stolz auf sich, noch war er glücklich. Nur sehr allein.
    Am Ende ging er doch zuerst duschen. Nicht, weil er sich schmutzig fühlte oder weil es keine gute Idee war, mit dreckiger Kleidung in der Wohnung herumzulaufen. Er duschte, weil er unter dem heißen Wasserstrahl wunderbar weinen konnte, und weil sich das Strömen der Dusche wie eine Umarmung anfühlte, wenn man fest genug die Augen schloss.

Kapitel 2
    Es mochte eine Zeit gegeben haben, in der Andreas das Verstreichen der Wochentage nicht kümmerte. Eine Zeit, in der er sich ohne Sinn und Struktur von einem Tag zum nächsten geschleppt hatte; egal, ob Montag oder Freitag, Sommer oder Winter, Tag oder Nacht war. Damals hatte er sich nicht vorstellen können, welchen Wert das Wochenende für einen Normalsterblichen hatte. Heute wusste er es.
    Mit den Gedanken bei der Tagesplanung warf Andreas den leeren Tablettenblister in Richtung des übervollen Mülleimers. Die Pillen verschwanden ohne Zugabe von Flüssigkeit in seinem Rachen. Längst hatte er sich daran gewöhnt, sie einnehmen zu müssen. Er tat es sogar gern, denn sie trugen dazu bei, dass er sich besser fühlte.
    Die Kücheninsel amerikanischer Bauart war klebrig. Er hatte am Vorabend versucht, aus dunkel gewordenen Bananen, Äpfeln und Dosenobst einen Fruchtdrink zu kreieren – natürlich mit einem Schuss Rum, den er wegen der Psychopharmaka eigentlich nicht trinken sollte. Doch an diese Vorgabe hielt Andreas sich selten. Abgesehen davon, dass er schneller betrunken wurde als früher, spürte er nie Nebenwirkungen.
    Der fruchtige Drink hatte ihm geschmeckt, das Massaker, das er mit Mixer und Bananenschalen in der Küche angerichtet hatte, weniger. Die guten Zeiten, in denen andere hinter ihm aufgeräumt hatten, waren vorbei. Heute war er selbst dafür verantwortlich, wie es in seiner Wohnung aussah. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass gerade die Küche nicht selten den Eindruck machte, als sei eine Horde Vandalen durch sie hindurchgetobt.
    Skeptisch blickte Andreas sich in dem quadratischen Raum um. Die schwarz-weiß gemusterten Arbeitsflächen wirkten sauber, aber der Eindruck täuschte. Das Muster machte den Schmutz nur unsichtbar.
    Die Spülmaschine stand halb offen und enthielt Geschirr, das in den Schrank geräumt werden wollte. Ein paar kleinere Wollmäuse krochen um die Beine der verchromten Barhocker. Das schwarze Kochfeld war verschmiert, die Fenster von einer feinen Schicht Staub bedeckt, in die der Regen der vergangenen Wochen verschlüsselte Botschaften geschrieben hatte.
    In dem Wissen, dass es in der restlichen Wohnung nicht besser aussah, unterdrückte Andreas ein Stöhnen. Unter der Woche hatte er das Putzen aufgeschoben. Warum sollte er nach einem harten Morgen im Tierheim zu Hause weiterschuften, wenn er am Wochenende Zeit hatte? Nur hatte er dummerweise auch heute keine Lust, das Klo zu putzen oder seine gewaschenen Socken zusammenzulegen. Das Wochenende war schließlich kurz genug. Besonders, wenn man bis zum Mittag geschlafen hatte, weil der Stress der letzten Tage nach Wiedergutmachung verlangte.
    Wie sagte Köninger immer so schön? Ab und zu soll man sich belohnen. Gemäß dieser Weisung ließ Andreas Schwamm und Wischmopp links liegen und läutete das Wochenende ein.
    Jochen Köninger war der Therapeut, der ihn seit der Entlassung aus der Psychiatrie betreute. Andreas mochte den hageren Mittvierziger recht gern, auch wenn ihn dessen Unart, ihm ungerührt unangenehme Wahrheiten an den Kopf zu werfen, oftmals auf die Nerven ging.
    »Bei dem Wetter sollte man eh nicht im Haus herumsitzen«, sagte Andreas laut in die Stille hinein und musste fast lächeln. Er hatte zehn Jahre lang im Haus festgesessen. Gehalten von unsichtbaren Drähten und Ketten, die ihm den Atem

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