Nach der Hölle links (German Edition)
nahmen. Wer hätte je gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem es ihn freiwillig nach draußen zog?
Entschlossen, den Tag auf faule Weise zu verbringen, wühlte Andreas in den Untiefen seiner bestens gefüllten Küchenschränke nach einem Tablett. Er würde sich ein paar gemütliche Stunden auf der Dachterrasse gönnen und hinterher sehen, wohin der Wind ihn trug.
Wenige Minuten später schob Andreas mit dem Ellenbogen die Glastür zum Dach auf. Auf seiner Nase hing schief eine Sonnenbrille. Die Sonnencreme, die es angesichts der ungewöhnlich hohen Temperaturen in diesem Mai brauchte, brachte das Gestell ins Rutschen. Eine in Fetzen hängende Blue Jeans schlotterte um Andreas’ Knie, zeigte gebräunte Beine und am linken Oberschenkel den Ansatz seiner roten Shorts. Auf ein Oberteil hatte er verzichtet.
Andreas mochte es, wenn die Sonne seine bloße Haut berührte und ihm ermutigend einflüsterte, dass es gut und richtig war, sich unter der Woche durch den strengen Therapieplan zu quälen. Früher war es ihm nicht möglich gewesen, faul in der Sonne zu liegen und sich dabei wohlzufühlen. Heute gehörte dieser Zeitvertreib zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.
Das Tablett in Andreas’ Händen beherbergte neben ein paar kalorienreichen Leckereien und Getränken ein gutes Buch und seinen MP3-Player. Ohne Zögern steuerte er auf die blaugrün gestreifte Hängematte zu, die auf der Südseite der Terrasse in ihren Stützen hing. Umsichtig stellte er das Tablett ab, bevor er sich mit einem Seufzen in den von der Sonne aufgewärmten Stoff fallen ließ. Eines seiner Beine landete halb über dem Rand, während die Hängematte knarrend schaukelte und schließlich zum Stillstand kam.
Wohlig reckte Andreas sich und schob die Sonnenbrille an ihren Platz. Der blaue Himmel über ihm bekam einen Grünstich. Das Weiß der Schäfchenwolken verwandelte sich in farbintensives Grau. Ein Hauch von Hafengeruch wehte ihm um die Nase, als er die Arme hob und sich wie eine Katze auf der Fensterbank rekelte.
Samstag war der mit Abstand entspannteste Tag der Woche für ihn. Die Arbeitstage kosteten ihn stets viel Kraft und Überwindung, der Sonntag wurde durch die Aussicht auf den nächsten Tag verdorben. Doch samstags konnte er lange schlafen und sich faul in seinen Decken herumrollen. Nutzlos Zeit vergeuden, träumend an der Brüstung stehen und die Fassaden der Speicherstadt bewundern.
Lesen, chatten, manchmal telefonieren. Wenn der Drang nach Körperlichkeit zu groß wurde, Pornos gucken und onanieren, bis es ihn vor Lust schüttelte. Alles in dem Wissen, dass der nächste Tag frei war und nichts von ihm erwartet wurde.
Fest entschlossen, sich nur zu bewegen, wenn er dem Ruf der Natur folgen musste, schloss Andreas die Augen. Eine sanfte Brise kitzelte ihn im Gesicht und strich über seine Brust, während er mit den Zehen an den bunten Fransen der Hängematte spielte.
Er liebte sein neues Zuhause. Die Dachterrasse zog sich halb um das Gebäude, rahmte die gesamte Südseite und je die Hälfte der Ost- und Westseite ein. Nur von Andreas’ Wohnung aus konnte sie betreten werden. Der Boden war mit dunklen Holzbohlen ausgelegt, während die modern gestaltete Brüstung silbern im Licht schimmerte. Es gab kleine Haken für Blumenkörbe im Gestänge, doch auf solcherlei Gestaltung hatte Andreas bisher verzichtet. Blumen bedeuteten nur zusätzliche Arbeit.
Einzig mit der Hängematte und einem vereinsamten Liegestuhl bestückt blieben etliche Quadratmeter der Terrasse ungenutzt, doch das störte ihn nicht. Ganz im Gegenteil: Andreas mochte die Weite um sich herum. Das Gefühl, sich frei bewegen zu können, hatte ihm in der Villa seiner Eltern stets gefehlt.
Er schluckte beim Gedanken an seine Familie. Das Verhältnis der von Winterfelds war schwierig. Drei Jahre waren verstrichen, seitdem Andreas ausgezogen war. An der grundlegenden Familiensituation hatte sich seither nicht viel geändert.
Er war immer noch der Erbe des Konzerns, in den alle Hoffnungen gesetzt wurden. Sein Vater glaubte nach wie vor, dass Zuneigung und Geld dasselbe waren, und über seine Mutter dachte Andreas nicht gerne nach. Obwohl ihm fast wöchentlich der Kopf zurechtgerückt wurde, lebte er tagtäglich mit dem Gefühl, seine Familie zu enttäuschen.
Die hässlichen Szenen, zu denen es gekommen war, als er mit der Hilfe seines damaligen Lehrers Dr. Schnieder den Weg in die Psychiatrie fand, würde er wohl nie vergessen.
Meistens kam Andreas gut mit den
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